
Seit dem 7. Juni gilt die Impfpriorisierung in Deutschland als aufgehoben. Bund und Länder hatten sich Ende Mai darauf geeinigt, dass auch Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren eine Impfung gegen das Coronavirus erhalten können. Derzeit ist für diese Altersgruppe nur der Impfstoff Comirnaty von BioNTech/Pfizer zugelassen. Auch die Firma Moderna gab kürzlich bekannt einen Zulassungsantrag für ihren Impfstoff COVID-19 Vaccine Moderna für Kinder von 12 bis 17 Jahren beantragt zu haben. Die STIKO hatte sich bezüglich der uneingeschränkten Impfmöglichkeit für Kinder kritisch geäußert und gab nun ihre Empfehlungen dazu bekannt.
Keine generelle Impfempfehlung
Die STIKO verkündete im 23. Epidemiologischen Bulletin 2021 ihre Empfehlungen zur Impfung von Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren gegen das Coronavirus. Eine allgemeine Impfung dieser Altersgruppe wird nicht empfohlen. Nach ärztlicher Aufklärung und bei individuellem Wunsch und Risikoakzeptanz des Kindes oder Jugendlichen bzw. der Sorgeberechtigten ist die Impfung laut STIKO aber durchaus möglich. Bei bestimmtne Vorerkrankungen, aus beruflichen Gründen oder bei gefährdeten Personen im Umfeld sollte eine Impfung laut STIKO durchgeführt werden.
Empfehlung bei bestimmten Vorerkrankungen
Die Impfung mit Comirnaty wird bei Kindern und Jugendlichen empfohlen, die aufgrund der folgenden Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 haben.
- Adipositas (> 97. Perzentile des Body Mass Index [BMI])
- Angeborene oder erworbene Immundefizienz oder relevante Immunsuppression
- Angeborene zyanotische Herzfehler (O2-Ruhesättigung < 80%)
- Schwere Herzinsuffizienz
- Schwere pulmonale Hypertonie
- Chronische Lungenerkrankungen mit einer anhaltenden Einschränkung der Lungenfunktion
- Chronische Niereninsuffizienz
- Chronische neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen
- Maligne Tumorerkrankungen
- Trisomie 21
- Syndromale Erkrankungen mit schwerer Beeinträchtigung
- Diabetes mellitus (erhöhtes Risiko besteht bei HbA1c-Werten >9,0%)
Kontaktpersonen mit hoher Gefährdung schützen
Die Impfung für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren wird zudem empfohlen, wenn sich in ihrem Umfeld Angehörige oder andere Kontaktpersonen befinden, die eine hohe Gefährdung für einen schweren COVID-19-Verlauf haben, die selbst nicht geimpft werden können oder bei denen der begründete Verdacht auf einen unzureichenden Schutz nach der Impfung besteht (z.B. Menschen unter relevanter immunsuppressiver Therapie).
Berufliches Expositionsrisiko
Besteht aufgrund des Berufes für Jugendliche ein erhöhtes Expositionsrisiko wird eine Impfung entsprechend den Priorisierungsgruppen empfohlen.
Geringes Risiko für schweren Verlauf
Die STIKO begründet ihre Empfehlung insbesondere damit, dass schwere COVID-19-Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter selten vorkämen und der überwiegende Teil einen asymptomatischen oder milden Krankheitsverlauf von ein- bis zweiwöchiger Dauer zeigten. In einem systematischen Review wurden Daten von insgesamt 7.480 Kindern und Jugendlichen zwischen 0 und 18 Jahren betrachtet. Dabei verlief eine Coronavirus-Infektion bei 2% schwer und 0,7 % waren kritisch krank.
Kaum Ansteckung über Kinder
Kinder scheinen weniger empfänglich für eine SARS-CoV-2-Infektion zu sein als Erwachsene und Jugendliche. Verfügbaren Studien zur Transmission wiesen darauf hin, dass Kinder und Jugendliche eine untergeordnete Rolle bei der Weiterverbreitung des Coronavirus spielten. In einer Seroprävalenzstudie aus Sachsen wurden 150 Haushalte mit einem infizierten Mitglied verglichen. Haushalte mit Kindern waren signifikant seltener vollständig seropositiv als Haushalte ohne Kinder.
Die Infektionsquellen infizierter Kinder und Jugendlicher wurde in einem Survey der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI) untersucht. Dabei wurde gezeigt, dass sich 73,3% der Befragten 12- bis 17-Jährigen im Haushalt und 18,5% in der Schule angesteckt hatten, die übrigen im Krankenhaus, auf Reisen oder an sonstigen Orten.
PIMS
Das „Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome“ (PIMS) ist eine systemische Entzündungsreaktion, die bei Kindern in seltenen Fällen (etwa 2/100.000) nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 auftreten kann. Die Symptome zeigen sich tritt meist zwei bis vier Wochen nach einer Corona-Infektion und auch dann, wenn die COVID-19-Erkrankung symptomlos verlaufen ist. In vielen Fällen kommt es zur Schocksymptomatik und in der Regel passagerer kardiorespiratorischer Insuffizienz. Ein Großteil der Patienten muss intensivmedizinisch behandelt und zum Teil auch maschinell beatmet werden.
Laut STIKO wird das neue Krankheitsbild zunehmend besser verstanden und sei inzwischen in den meisten Fällen gut behandelbar. In Deutschland ist nach der Erhebung der DGPI bis heute kein Kind oder Jugendlicher an PIMS verstorben. In einem systematischen Review, dass 39 Studien mit insgesamt 662 Patienten mit PIMS einschloss, wurde eine Sterblichkeit von 1,7% ermittelt.
Long-COVID bei Kindern und Jugendlichen
In einer Längsschnittstudie in Sachsen wurden SchülerInnen der Klassenstufen 8 bis 12 an 14 weiterführenden Schulen untersucht mit einem validierten Fragebogen zu Auftreten und Häufigkeit von Long-COVID-Symptomen befragt. Von den teilnehmenden 1.560 Schülern waren 1.365 (88%) seronegativ, 188 (12%) seropositiv bzgl. SARS-CoV-2-Antikörper. In keinem der abgefragten Merkmale fand sich ein Unterschied zwischen seropositiven und seronegativen Kindern bzw. Jugendlichen. Die Studienlage zu Long-COVID ist allerdings bislang unzureichend, weiterführende Studien zu Prävalenz, Risiko- und protektiven Faktoren seien daher nötig.
Impfressourcen nutzbringend einsetzen
Zusammenfassen erklärt die STIKO, dass Kinder nach ihrer Einschätzung nicht die Treiber des Pandemiegeschehens seien. Viele Kinder und Jugendliche infizierten sich asymptomatisch mit SARS-CoV-2 und bei solchen ohne Vorerkrankungen wäre der COVID-19-Krankheitsverlauf meist mild. Aus diesem Grund und den gleichzeitig unzureichenden Sicherheitsdaten zur COVID-19-Impfung bei Kindern und Jugendlichen, könne deshalb aus immunologischer Sicht mit der Durchführung einer zweimaligen COVID-19-Impfung gewartet werden. Zudem müssten in der aktuellen Lage die weiterhin limitierten Impfstoffressourcen nutzbringend eingesetzt werden. Dies bedeute, dass noch nicht geimpften gefährdeten Personen vorrangig ein Impfangebot gemacht werden sollte.