Histaminintoleranz

Bei einer Histaminintoleranz reagiert der Körper unverträglich auf eine erhöhte Zufuhr von Histamin. Typische Beschwerden sind Kopfschmerzen, Fließschnupfen, Flush, Diarrhoe, Hypotonie und Tachykardien.

Histaminintoleranz

Definition

Als Histaminintoleranz (ICD-10 T78.1) wird eine nicht-allergische Unverträglichkeitsreaktion des Körpers auf Histamin bezeichnet. Die Beschwerden basieren auf einem Ungleichgewicht zwischen anfallendem Histamin und Histaminabbau. Als Ursache der Hypersensivität wird häufig ein Aktivitätsmangel des Enzyms Diaminoxidase (DAO) postuliert. Die Symptomatik ist vielfältig und unspezifisch. Das klinische Bild reicht von Verdauungsbeschwerden mit Durchfällen und Blähungen über Hautmanifestationen in Form von Rötungen, Pruritus und Flush bis zu kardiovaskulären Symptomen wie Hypotonien, Tachykardien und Arrhythmien. Kopfschmerzen und Müdigkeit werden ebenfalls von Betroffenen mit einer Histaminunverträglichkeit berichtet. Bei Verdacht auf eine Histaminose wird eine Histaminrestriktion im Rahmen einer dreiphasigen Ernährungsumstellung empfohlen. Die zusätzliche Bestimmung der Histamin- und DAO-Konzentrationen wird kontrovers diskutiert. Bei diagnostizierter Histaminintoleranz wird eine individuelle Ernährungsberatung empfohlen. Eine Aufklärung über histaminfreisetzende und DAO-hemmende Nahrungs- und Arzneimittel ist sinnvoll [1][2][3].

Epidemiologie

Einigen Autoren zufolge gehört die Histaminintoleranz zu den häufigsten Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Andere wiederum bezweifeln, dass diese Erkrankung überhaupt existiert. Sichere epidemiologische Aussagen zu Prävalenz und Inzidenz einer HIT gibt es bis heute nicht. Unterschiedlichen Studien zufolge könnte 1 bis 3 Prozent der Gesamtbevölkerung betroffen sein. 80 Prozent aller Patienten sind weiblich und im mittleren Lebensalter [3][4][5][6].

Histaminintoleranz als Erkrankung

Auf wissenschaftlicher Ebene gibt es erhebliche Zweifel am Krankheitsbild der Histaminintoleranz. Andersherum existieren glaubwürdige Untersuchungen zu Expositions-, Auslass- und Reexpositionsversuchen, die für eine Histaminintoleranz als Erkrankung sprechen. Die Plausibilität hinsichtlich der beschriebenen Zusammenhänge ist jedoch unbefriedigend. Verlässliche Diagnoseparameter und evidenzbasierte Therapieempfehlungen fehlen. Die Problematik wird beispielsweise hier deutlich: Gemäß einer Untersuchung aus Deutschland sprach die Hälfte der Patienten mit Verdacht auf Histaminunverträglichkeit auf eine histaminarme Diät an, die Diagnose konnte aber nur in einem Fall durch eine doppelblinde, placebokontrollierte Histamin-Provokation nachgewiesen werden [1][3][4][7].

Was ist Histamin?

Histamin ist ein biogenes Amin, das mithilfe der L-Histidin-Decarboxylase (HDC) aus der Aminosäure Histidin in Mastzellen, basophilen Granulozyten, Thrombozyten und einigen Neuronen synthetisiert, intrazellulär in Vesikeln gelagert und bei Stimulation freigesetzt wird. Histamin fungiert als wichtiger Mediator unterschiedlicher biologischer Reaktionen. Die Histaminfreisetzung geschieht IgE-vermittelt aus histaminbeladenen Mastzellen und IgE-unabhängig durch die zyklischen Nukleotide cAMP und cGMP als „second messenger“. Zu den nicht-allergischen Histaminliberatoren gehören unter anderem Nahrungsmittel, Medikamente, chemische und physikalische Reize, Hypoxie, Neuropeptide oder Enzyme wie die Phospholipase [2].

Der Abbau von Histamin erfolgt auf zwei Wegen:

  1. mittels Methylierung durch das Enzym Histamin­N­Methyltransferase (HNMT)
  2. oxidativ durch Diaminoxidase (DAO)

DAO ist vor allem für den Abbau von exogen zugeführtem Histamin zuständig.

In großen Mengen wirkt Histamin toxisch. Mehr als 100 mg Histamin können leichte, über 1.000 mg schwere Intoxikationen und Anaphylaxie-ähnliche Situationen auslösen. Häufig ist eine Histaminintoxikation nach dem Verzehr von verdorbenem Fisch, insbesondere aus der Familie der Scombridae (Thunfisch, Makrele) zu beobachten. Die Verträglichkeitsgrenze für Histamin wird meist mit etwa 10 mg angegeben. Gesicherte Daten für diesen Wert gibt es allerdings nicht [1][2].

Ursachen

Die Histaminintoleranz soll auf einen reduzierten Histaminabbau (angeboren oder erworben) zurückzuführen sein. Eine teilweise DAO-assoziierte genetische Prädisposition wird diskutiert.

Die Schädigung von Enterozyten bei gastrointestinalen Erkrankungen könnte die Produktion von DAO reduzieren und histaminassoziierte Beschwerden im Rahmen einer erworbenen HIT erklären. Ein Zusammenhang zwischen der gastroduodenalen und intestinalen Schleimhautpermeabilität und einer chronischen Urtikaria gilt als gesichert [8][9].

Zusätzlich können andere biogene Amine, Alkohol und histaminliberierende oder DAO-blockierende Arzneimittel den Histaminabbau beeinflussen [1][2].

Pathogenese

Pathologische Reaktionen auf oral aufgenommenes Histamin sollen auf einer Abbaustörung der katabolisierenden Enzyme, insbesondere der DAO, beruhen. Daraus resultiert ein Ungleichgewicht zwischen anfallendem und abgebautem Histamin. Wird die individuelle Histamintoleranzschwelle überschritten, kommt es bei den Betroffenen zu konzentrationsabhängigen histaminvermittelten Symptomen. Reaktionen sind vor allem nach der Aufnahme histaminreicher Nahrungsmittel und Alkohol sowie histaminliberierender oder DAO-blockierender Medikamente beschrieben [1][2].

Studienlage begrenzt

Prospektive, kontrollierte Studien, die einen Enzym­ und/oder Enzymaktivitätsmangel als kausale Ursache einer Histaminintoleranz zweifelsfrei belegen, fehlen bislang. An Versuchen mangelt es indes nicht. Beispielsweise sollte eine multizentrische Studie aus Österreich eindeutige und reproduzierbare Reaktionen mit doppelblinden, placebokontrollierten Provokationstestungen und der oralen Verabreichung des histaminabbauenden Enzyms Diaminoxidase objektivieren – ohne Erfolg.

Bei bestehendem Verdacht auf eine Histaminunverträglichkeit wurde zunächst eine positive Reaktion auf die offene Gabe von 75 mg flüssigem Histamin abgewartet. 39 von 56 Patienten reagierten daraufhin mit Symptomen. Diese testeten die Studienautoren in einem randomisierten doppelblinden Crossover-Provokationsprotokoll mit histaminhaltigem und histaminfreiem Tee in Kombination mit DAO-Kapseln oder Placebo. Die vorab definierten Haupt- und Nebensymptome waren nicht reproduzierbar. Die Probanden reagierten teilweise unerwartet und zufällig. Unabhängig von der fehlenden Reproduzierbarkeit konnte zwar gezeigt werden, dass die Einnahme von DAO-Kapseln zu milderen Symptomen führte. Allerdings erfolgte eine Wirkung unabhängig davon, ob Histamin zugeführt wurde oder nicht.

Die fehlende Reproduzierbarkeit histaminassoziierter Beschwerden legt nahe, dass es sich bei einer Histaminintoleranz sehr wahrscheinlich nicht um einen Enzymdefekt wie bei der Laktoseintoleranz oder der hereditären Fruktoseintoleranz handelt. Anderenfalls müssten die Symptome eindeutig provozierbar sein [10][11].

Symptome

Es gibt wohl kaum ein Symptom, das noch nicht mit einer Histaminintoleranz in Verbindung gebracht wurde. Die Komplexität lässt sich durch die Verteilung der Histaminrezeptoren in multiplen Effektororganen erklären. Beschrieben sind zum Beispiel:

  • gastrointestinale Störungen wie Übelkeit, Erbrechen, Abdominalschmerzen und Blähungen
  • respiratorische Beschwerden, vor allem nasale Obstruktion und Fließschnupfen
  • kardiovaskuläre Symptome, speziell Hypotonie, Arrhythmie und Tachykardie
  • Hautmanifestationen in Form von Urtikaria, Pruritus, lokalen und generalisierten Hautrötungen sowie einer Flush-Symptomatik
  • Kopfschmerzen, Migräne
  • Schwindel
  • Müdigkeit
  • Dysmenorrhoe
  • Asthmaanfälle und anaphylaxieähnliche Reaktionen [1][12]

Diagnostik

Die Diagnose der Histaminintoleranz wird klinisch gestellt und basiert vorrangig auf der Anamnese. Bislang gibt es weder einen validierten Fragebogen noch geeignete Laborparameter oder sichere Routine-Testungen. Dies macht die Diagnosestellung nicht einfacher. Darüber hinaus wird eine Histaminintoleranz häufig in Eigenregie, nur aufgrund des Beschwerdebilds, diagnostiziert und mit – zum Teil – übertriebenen Eliminationsdiäten therapiert.

Zur besseren diagnostischen Orientierung hat die Arbeitsgruppe Nahrungsmittelallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) in Zusammenarbeit mit anderen allergologischen Fachgesellschaften die bislang verfügbare Datenlage ausgewertet und einen Diagnose-Leitfaden publiziert. Darin werden unterschiedliche Parameter hinsichtlich ihrer Relevanz und Aussagekraft bewertet.

DAO-Aktivität im Serum

Ausgehend von einer Histamin-Abbaustörung infolge einer verminderten Leistungsfähigkeit des katabolisierenden Enzyms Diaminoxidase könnte die Bestimmung der DAO-Aktivität im Serum ein geeigneter Diagnosemarker darstellen. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist diese Untersuchung für die Diagnose einer Histaminintoleranz jedoch nicht aussagekräftig, so das Resümee der Experten [1].

Histamin-50-Pricktest

Der Histamin-50-Pricktest erfolgt mit einer 1%igen Histaminlösung. Die Quaddel der Positivkontrolle wird nach 50 Minuten erneut bewertet. Bleibt deren Größe weitgehend unverändert, soll dies als Zeichen eines verlangsamten Histaminabbaus verstanden werden. Doch auch diese Methode erlaubt keine sichere Aussage darüber, ob oral aufgenommenes Histamin verlangsamt abgebaut wird – und wird von den Fachgesellschaften als kritisch angesehen [1][13].

Messung von Enzymaktivitäten

Möglicherweise stellt die Bestimmung der Histamin-abbauenden Enzyme – das heißt die Aktivität von Histamin­N­Methyltransferase (HNMT) und Diaminoxidase (DAO) – in der Darmschleimhaut einen diagnostischen Ansatzpunkt dar. Nach aktuellem Kenntnisstand erlaubt die Konzentrationen der DAO im Human-Blut – im Gegensatz zum Tiermodell – keinen Rückschluss auf die Enzymaktivität der DAO im Darmgewebe. Ob eine direkte Bestimmung der DAO­Aktivität in der Dünndarmmukosa Aufschluss über die Abbaukapazität von exogen zugeführtem Histamin gibt, ist noch unklar und muss durch weitere Forschungsarbeiten geklärt werden [1].

Histamin im Stuhl

Vielfach wird die Bestimmung der Histaminkonzentration im Stuhl als aussagekräftiger Parameter bei der HIT-Diagnose postuliert. Inzwischen weiß man aber, dass Bakterien des intestinalen Mikrobioms (insbesondere Laktobazillen) zum Teil große Mengen Histamin sezernieren können. Das stellt die Aussagekraft der oftmals als pathologisch eingeschätzten hohen Histaminwerte im Stuhl infrage, so die Leitlinienexperten [1].

Histaminspiegel im Plasma

Die Bedeutung der Histaminkonzentration im Plasma ist wissenschaftlich umstritten, die Studienergebnisse unklar. Gemäß einer Untersuchung aus dem Jahr 2008 scheint kein Zusammenhang zwischen dem Anstieg des Histamin-Plasmaspiegels und den HIT-assoziierten Symptomen zu bestehen [1][14].

Methylhistamin im Urin

Die Werte für Methylhistamin im Urin hängen nicht nur vom Histamingehalt, sondern auch vom Proteinanteil der Nahrung ab – und können demzufolge bei einer eiweißreichen, aber histaminarmen Kost ansteigen. Damit ist ein erhöhter Methylhistamingehalt im Urin als Marker für eine Histaminintoleranz nur bedingt aussagekräftig [1][15].

Orale Provokation mit Histamin

Eine geeignete Methode zur eindeutigen Diagnose einer HIT wäre eine titrierte orale Histamin-Provokation. Diese sollte idealerweise in einer doppelblinden¬ placebokontrollierten Untersuchung geprüft werden und klinische Parameter als Endpunkt haben. Noch gibt es kein etabliertes und diagnostisch aussagekräftiges Verfahren. Das liegt vor allem an der Festlegung einer sinnvollen Provokationsdosis. Diese sollte bei vermeintlich Intoleranten die histaminassoziierte Symptomatik induzieren, jedoch ohne systemische Reaktionen hervorzurufen. Bei einer ausreichend großen Gruppe gesunder Probanden dürften indes keine Reaktionen ausgelöst werden.

In den bislang publizierten Studien wurden meist Dosen von 75 mg Histamin oder 0,75 mg Histamindihydrochlorid (1 mg Histamin entspricht 1,6 mg Histamindihydrochlorid) gewählt – mit unklaren Resultaten. Zusammenfassend zweifeln die Leitlinien-Experten daran, ob diese Dosierungen geeignet sind, um überempfindliche Personen zu diagnostizieren [1].

Empfohlenes Vorgehen

Bis ein validiertes Testsystem vorliegt, empfehlen die allergologischen Fachgesellschaften – nach einer detaillierten Anamnese – eine dreistufige Ernährungsumstellung unter fachkundiger Anleitung und ggf. eine sich daran anschließende Histamin-Provokation. Das Führen eines Symptom- und Ernährungstagebuchs kann das diagnostische Vorgehen unterstützen.

Dreistufige Ernährungsumstellung

Die diagnostische Ernährungsumstellung verläuft in drei Phasen.

Karenzphase

Die erste Phase (Karenzphase) geht über zehn bis 14 Tage. In dieser Zeit soll mit einer histaminreduzierten Kost eine weitestgehende Beschwerdereduktion erreicht werden. Für die Ernährungsumstellung gibt die Leitlinie folgende Empfehlungen [1]:

  • gemüsebetonte Mischkost mit beschränkter Zufuhr an biogenen Aminen, insbesondere der Histaminaufnahme
  • Nährstoffoptimierung
  • Anpassung der Mahlzeitenzusammensetzung und der -abstände
  • Lebensmittelauswahl nach den Prinzipien der leichten Vollkost

Testphase

Auf die Karenzphase folgt die zweite Phase, die bis zu sechs Wochen anhalten soll. Hierbei wird die individuelle Histamin-Verträglichkeit unter optimierten Bedingungen ausgetestet. Im Vordergrund steht die Erweiterung der Nahrungsmittelauswahl unter Berücksichtigung verschiedener Einflussfaktoren wie Stress, Menstruation, Medikamenteneinnahme.

In der Testphase werden [1]:

  • histaminreichere Nahrungsmittel unter Beachtung der individuellen Kostvorgaben des Patienten gezielt wieder eingeführt
  • strikte Diätvorgaben „aufgeweicht“
  • die individuelle Histaminverträglichkeitsgrenze ermittelt

Dauerernährung

Den letzten Abschnitt bildet die dritte Phase, die Zeit der langfristigen Ernährung. Ziel ist, die individuellen Ernährungsempfehlungen, die sich an der persönlichen Histaminverträglichkeit unter Berücksichtigung der exogenen Einflussfaktoren orientieren, dauerhaft in den Alltag zu integrieren [1].

Titrierte Provokation

Nach der Ernährungsumstellung ist eine titrierte Histamin-Provokation unter ärztlicher Aufsicht zu erwägen. Bis zum Vorliegen aussagekräftiger Studiendaten können die Fachgremien weder eine geeignete Histamindosis noch ein geeignetes Ablaufschema zur Durchführung oraler Provokationstestungen empfehlen. Derzeit geben lediglich Schätzungen der individuell verträglichen Dosis wichtige Hinweise auf das mögliche Vorliegen einer Histaminverwertungsstörung [1].

Üblicherweise erhalten Betroffene bei der titrierten Provokation alle zwei Stunden Histamindihydrochlorid in aufsteigender Dosierung (zum Beispiel 0,5 mg pro Kilogramm Körpergewicht, dann 0,75 mg/kg KG bis 1,0 mg/kg KG). Während der Untersuchung sind systemische Reaktionen wie Übelkeit oder Erbrechen und selbst vorübergehende Kreislaufdysregulationen möglich. In der Regel halten die Symptome aber nur kurzfristig an und sind mit Antihistaminika gut beherrschbar [1].

Begleitfaktoren, die eine Provokation beeinflussen

Zahlreiche Begleitfaktoren können das Ergebnis der Provokation bzw. die individuelle Histaminempfindlichkeit beeinflussen. Dazu gehören insbesondere Faktoren, die die Darmpermeabilität verändern, etwa:

Differenzialdiagnostik

Aufgrund der umfangreichen klinischen Symptomatik ist eine breite Differenzialdiagnostik unabdingbar. Wichtige Differenzialdiagnosen bei Verdacht auf Histaminunverträglichkeit sind: [1]

  • Hauterkrankungen wie Urtikaria, Pruritus sine materia, Prurigo
  • ntestinale Krankheiten, wie Ulkus ventrikuli, Ulkus duodeni und chronisch entzündliche Darmerkrankungen
  • Kohlenhydratverwertungsstörungen wie Laktoseintoleranz und Fructosemalabsorption
  • Zöliakie
  • Allergien
  • allergisch und nicht-allergische Rhinitis
  • Asthma
  • neuroendokrine Tumoren

Therapie

Nach Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen sollten Patienten mit Verdacht auf eine Histaminunverträglichkeit über ein verändertes Ernährungsverhalten, den Einfluss histaminhaltiger Nahrungs- und Arzneimittel sowie individuelle Einflussfaktoren beraten werden. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass sich die Verträglichkeit von Histamin und biogenen Aminen durch die bereits im Abschnitt Diagnose vorgestellte dreistufige Kostumstellung erhöhen lässt. Mit diesem Vorgehen werden pauschale, restriktive und dauerhaft histaminarme Ernährungsformen, die die Lebensqualität der Patienten unnötig einschränken, vermieden [1].

Ernährungstherapie

Die Bandbreite unverträglicher Nahrungsmittel ist bei Betroffenen mit einer (vermeintlichen) Histaminunverträglichkeit groß. Stark schwankende Histamingehalte, unterschiedliche Toleranzgrenzen – abhängig davon, was und in welcher Kombination gegessen wird – und weitere die Verdauung beeinflussende Faktoren wie Essverhalten und Mahlzeitenabstände machen eine individuelle Ernährungsberatung unverzichtbar. Hierbei stehen vor allem die sorgfältige Ernährungsanamnese und der Fokus auf die Reproduzierbarkeit auftretender Beschwerden im Mittelpunkt [16].

Histamin in Nahrungsmitteln

Histamin in Nahrungsmitteln entsteht durch mikrobiellen Verderb, wird aber auch im Rahmen von Reifungs- und Fermentationsprozessen gebildet. Große Mengen an Histamin sind demzufolge vor allem in mikrobiell hergestellten Produkten wie lange gereiftem Käse, Sauerkraut und (Rot)Wein oder mikrobiell kontaminierten proteinreichen Lebensmitteln wie Fisch, Fleisch und Wurst zu finden.

Je nach Histamin-Konzentration werden Nahrungsmittel in verträglich oder unverträglich eingeteilt. Hierbei helfen die Kenntnisse aus dem Bereich der Fischvergiftung. Insbesondere histidinreiche Fische wie Makrelen, Heringe, Sardinen und Thunfisch entwickeln bei unsachgemäßer Lagerung hohe Mengen an Histamin. Um die Frische von Fischen zu beurteilen, wird deshalb der Histamingehalt herangezogen. Nach wie vor weiß man aber nicht sicher, ob allein die hohe Histaminmenge für die schweren Symptome einer Fischvergiftung verantwortlich sind [5].

Als weitere Einflussfaktoren werden diskutiert:

  • der Gehalt anderer biogener Amine
  • die Stimulation der Freisetzung von endogenem Histamin, zum Beispiel durch Toxine
  • eine Abbaustörung durch Augmentationsfaktoren
  • eine gestörte Darmbarriere

Dies macht es schwierig, Lebensmittel allein nach ihrem Gehalt an Histamin als verträglich bzw. unverträglich einzustufen. Beispielsweise wird Histamin in Käse im Vergleich zu Histamin in Fisch deutlich besser vertragen. Deshalb sind die umfangreichen Tabellenwerke zum Histamingehalt von Nahrungsmitteln wenig hilfreich und sollten nur als grobe Orientierung, nicht aber als Diätgrundlage genutzt werden [10].

Eine deutliche Verbesserung der Beschwerden ist häufig im Rahmen einer stärke- und zuckerreduzierten und gleichzeitig gemüse-, eiweiß- und fettbetonten Ernährungsweise zu beobachten. Dafür können mehrere Einflussfaktoren verantwortlich sein, zum Beispiel [17]:

  • eine Verlangsamung der Magen-Darm-Passage
  • eine veränderte Permeabilität
  • eine längere Einwirkzeit der abbauenden Enzyme
  • ein verändertes Darmmikrobiom

Histaminliberatoren

Histaminliberatoren sind Substanzen, die in Mastzellen und basophilen Granulozyten gespeichertes endogenes Histamin freisetzen. Zu den in der Diskussion stehenden Arzneimitteln mit histaminliberierenden Eigenschaften gehören nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Diclofenac, Indometacin, Ketoprofen, Naproxen und Acetylsalicylsäure, Morphin und andere Opioide, Codein, Chemotherapeutika, Barbiturate, Muskelrelaxanzien und Röntgenkontrastmittel. Ferner wird eine histaminfreisetzende Wirkung bei Zitrusfrüchten, Erdbeeren, Tomaten, Nüssen Schokolade/Kakao und Schalentieren sowie Zusatzstoffen wie Glutamat, Gelatine und Konservierungsmitteln vermutet [2][18][19].

DAO-Inhibitoren

DAO-Inhibitoren hemmen die Enzymaktivität der Diaminoxidase. Zu den wichtigsten Vertretern zählen Alkohol und Nikotin. Überdies sollen bestimmte Medikamente die DAO-Aktivität reduzieren. Arzneimittel, denen DAO-hemmende Eigenschaften nachgesagt werden, sind Acetylcystein, Cimetidin, Furosemid, Haloperidol, Metamizol, Metoclopramid, Metronidazol, Theophyllin und Verapamil. Die Datenlage, ob sich diese Wirkstoffe tatsächlich negativ auf das histaminabbauende Enzym auswirken, ist nach aktueller Literaturrecherche inkonsistent. Um deren Bedeutung zu validieren und potenzielle pharmakologische Wechselwirkungen bei exogen zugeführtem Histamin zu ermitteln, sind nach Ansicht der allergologischen Fachgesellschaften weitere Untersuchungen erforderlich [1][2][20].

Antihistaminika

Bislang gibt es keine prospektiven doppelblinden placebokontrollierten Studien zur Wirksamkeit von H1­ und H2­Rezeptorblockern bei einer Unverträglichkeit von exogen zugeführtem Histamin. Der bekannte Wirkmechanismus legt jedoch nahe, dass sie zur Linderung einzelner Symptome (zum Beispiel H1­Blocker bei Flush oder H2­Blocker gegen Übelkeit und Erbrechen) sinnvoll sein können – zumindest im Rahmen akuter Belastungen wie bei massiven Ernährungsfehlern (etwa bei Feierlichkeiten oder einer Scombroid­Intoxikation). Gemäß der Leitlinie sei es als pragmatisches Vorgehen denkbar, Patienten mit einer vermuteten Histaminintoleranz über einen definierten Zeitraum mit H1/H2­Rezeptorblockern zu behandeln – und zu prüfen, ob sich das Beschwerdebild verändert.

Prognose

Eine Histaminintoleranz ist kausal nicht heilbar. Eine individuelle Ernährungsberatung und personalisierten Kostumstellung bzw. Mahlzeitenanpassung ermöglichen aber einen weitgehend normalen Alltag mit guter Lebensqualität.

Prophylaxe

Der Entwicklung einer Histaminintoleranz kann nicht vorgebeugt werden.

Autor:
Stand:
22.04.2022
Quelle:
  1. Reese, I. et al. (2017): Leitlinie zum Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. Allergo J Int 2017; 26:72–9 DOI: 10.1007/s40629-017-0011-5.
  2. Maintz, L., Bieber, T., Novak, N. (2006): Die verschiedenen Gesichter der Histaminintoleranz – Konsequenzen für die Praxis. Histamine Intolerance in Clinical Practice Dtsch Arztebl 2006; 103(51–52): A-3477 / B-3027 / C-2903.
  3. Fischer, A. (2013): Histaminintoleranz – Reale Erkrankung oder akademisches Luftschloss? Hautnah dermatologie 2013; 29(5):307. DOI: 10.1007/s15012-013-1678-z.
  4. von Grätz, P. G. (2012): Kleines Molekül, große Frage – Histaminintoleranz: Pathologie oder Psychopathologie? DGVS 2012; Onlineartikel vom 24. September 2012.
  5. Töndury, B. et al. (2008): Histaminintoleranz: Wie sinnvoll ist die Bestimmung der Diaminoxidase-Aktivität im Serum in der alltäglichen klinischen Praxis? Allergologie 2008; 8:350–6; DOI: 10.5414/ALP31350.

  6. Jarisch, R. (2013): Histaminintoleranz – Histamin und Seekrankheit. Thieme Stuttgart, 3. Aufl. Germany 2013 Feb; S. 9. 

  7. Hoffmann, K. M. et al. (2013): Histamine intolerance in children with chronic abdominal pain. Arch Dis Child 2013 Oct; 98:832–3; DOI: 10.1136/archdischild-2013-305024.
  8. Smolinska, S. et al. (2014): Histamine and gut mucosal immune regulation. Allergy 2014 Mar; 69(3):273–81; DOI: 10.1111/all.12330.
  9. Kanny, G. et al. (1996): Ultrastructural changes in the duodenal mucosa induced by ingested histamine in patients with chronic urticaria. Allergy 1996 Dec; 51(12):935–9; DOI: 10.1111/j.1398-9995.1996.tb04497.x
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