Die unheilbare Gehirnerkrankung Narkolepsie kommt bei Menschen aller Altersstufen vor. Sie beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen erheblich. Multimodale Therapien mit Arzneimitteln und Verhaltensänderungen können diese Beeinträchtigungen verringern.
Die Narkolepsie gehört zu den Hypersomnien zentraler Ursache. Sie ist eine seltene Funktionsstörung des Hypothalamus, die zu Beeinträchtigungen durch vielfältige Variationen des Schlaf-Wach-Rhythmus führt. Eine exzessive Tagesschläfrigkeit (excessive daytime sleepiness [EDS]), die mit Einschlafattacken zu jeder Tageszeit und in ungewöhnlichen Situationen einhergeht, belastet die Patienten am stärksten. Der Nachtschlaf der Patienten ist in der Regel signifikant gestört und fragmentiert (disturbed nighttime sleep [DNS]). Schlafparalysen, die nach dem Aufwachen kurzfristig fortbestehen, und Halluzinationen beim Einschlafen (hypnagogen) und beim Aufwachen (hypnopompen) können die Patienten beängstigen und psychisch belasten.
Man unterscheidet die Narkolepsie Typ 1 (NT1) von der Narkolepsie Typ 2 (NT2):
Typ 1 ist eine Schlafstörung, die durch exzessive Tagesschläfrigkeit gekennzeichnet ist. Sie ist mit nicht kontrollierbarem Schlafzwang und Kataplexie (Verlust des Muskeltonus, oft ausgelöst durch Emotionen) verbunden.
Typ 2 bezeichnet eine Narkolepsie ohne Kataplexie. Sie präsentiert sich mit heterogenem Krankheitsbild und ist ungenau definiert.
Nach heutigem Stand des Wissens verringert die Erkrankung an Narkolepsie die Lebenserwartung der Patienten nicht. Sie beeinträchtigt jedoch die Lebensqualität vieler Betroffener in hohem Maße.
Epidemiologie
Schätzungen gehen von einer Prävalenz von 25 bis 50 pro 100.000 Menschen weltweit aus. Das Orphanet gibt für die Narkolepsie Typ 1 eine geschätzte Prävalenz von 1 bis 3 pro 10.000 an. In Deutschland sollen rund 40.000 Menschen von der Erkrankung betroffen sein.
Ursachen
Ursachen und Ätiologie der Narkolepsie sind noch nicht bis ins Detail geklärt. Man geht jedoch davon aus, dass die Narkolepsie durch eine schleichende Zerstörung der Hypokretin-produzierenden Nervenzellen im Hypothalamus verursacht wird. Das Neuropeptid Hypokretin spielt eine bedeutende Rolle bei der dauerhaften Stabilisierung des Wach- beziehungsweise Schlafzustands und ist auch in die Regelung des Emotions-, Ernährungs- und Belohnungsverhalten involviert. In verschiedenen Studien wurde bei mehr als 90 % der Narkolepsiepatienten mit Kataplexie (NT1) ein erniedrigter Hypokretin-Spiegel nachgewiesen. Dies steht im Gegensatz zur Narkolepsie ohne Kataplexien (siehe Diagnosekriterien).
Pathogenese
Für die Zerstörung der Hypokretin-produzierenden Nervenzellen und damit für die Entstehung einer Narkolepsie sind mit hoher Wahrscheinlichkeit autoimmune Prozesse verantwortlich, die durch die Kombination mehrerer Faktoren ausgelöst werden. Zu diesen Faktoren gehören eine genetische Veranlagung, das Vorliegen des sogenannten HLA-Allel DQB1*0602 Haplotyps und Umweltfaktoren, wie bestimmte Infektionen (z. B. H1N1 Viren oder Streptokokken) und/oder einzelne Impfstoffe, z. B. Pandemrix (Impfstoff gegen Influenza A-Virus H1N1, Schweinegrippe). Eine Schweizer Arbeitsgruppe konnte 2018 die Hypothese einer autoimmunen Zerstörung der Hypokretin-produzierenden Nervenzellen untermauern, indem sie im Liquor und im Blut von Narkolepsie-Patienten CD4+ und CD8+ T-Zellen nachwiesen, die gegen Hypokretin reagieren. Diese autoreaktiven T-Zellen rufen Entzündungen hervor, die möglicherweise spezifisch die Neurone zerstören, in denen Hypokretin produziert wird. Bei gesunden Kontrollen konnten die spezifischen autoreaktiven T-Zellen nicht nachgewiesen werden.
Narkolepsiefälle nach Impfung gegen H1N1 (2009/2010)
Nach der Impfkampagne gegen das Influenza-A-Virus H1N1 (A/H1N1), auch als Schweinegrippevirus bekannt, häuften sich die Fälle von Narkolepsie in einigen Ländern. Epidemiologische Studien ermittelten eine Assoziation mit dem Impfstoff Pandemrix, nicht aber mit dem Impfstoff Focetria.
Ähnlichkeit Hypokretin-Rezeptor und H1N1
Bei der Suche nach möglichen Ursachen für diese Assoziation entdeckten Wissenschaftler der Universität Stanford in der Aminosäuren-Sequenz des Hypokretin-Rezeptors einen Abschnitt, die auch auf dem Nukleopeptid A des Influenza-Virus zu finden ist. Bei 17 von 20 finnischen Patienten, die nach der Impfung mit Pandemrix an einer Narkolepsie erkrankt waren, konnten Antikörper gegen das Nukleoprotein nachgewiesen werden. Bei mit Focetria geimpften Personen waren solche Antikörper hingegen nicht nachweisbar. Tatsächlich zeigte sich bei Untersuchungen mittels Massenspektrometrie, dass Pandemrix wesentlich höhere Konzentrationen des Nukleopeptids enthielt als andere Vakzine. Die Kreuzreaktivität gegenüber dem Influenza-Nukleopeptid und dem Abschnitt auf dem Hypokretin-Rezeptor konnte im Labor bestätigt werden.
Erkrankung nur bei defekter Blut-Hirn-Schranke
Da eine intakte Blut-Hirn-Schranke undurchlässig für Antikörper ist, kam es bei der Pandemrix-Impfung unter normalen Umständen nicht zur Erkrankung an Narkolepsie. Nur bei Personen mit defekter Blut-Hirn-Schranke konnten die Impfantikörper die Hypokretin-Rezeptoren schädigen. Da die Antikörper lebenslang zirkulieren, konnten jedoch auch Schädigungen der Blut-Hirn-Schranke im großen zeitlichen Abstand zur Impfung autoimmune Reaktionen im Hypothalamus auslösen und so zur Entstehung einer Narkolepsie auch lange Zeit nach der Impfung führen.
Symptome
Die ersten Symptome einer Narkolepsie können bereits im Kindesalter auftreten. Häufiger kommt es jedoch in der Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter zu den ersten Beschwerden. Eine chronische und schwere Tagesschläfrigkeit (excessive daytime sleepiness [EDS]), Einschlafattacken und kataplektische Anfälle sind die kennzeichnenden Symptome der Narkolepsie. Rund Zweidrittel der Patienten berichten darüber hinaus über einen gestörten Nachtschlaf (disturbed nighttime sleep [DNS]). Daneben können auch neuropsychiatrische, motorische und metabolische Störungen auftreten. Die Narkolepsie führt zu einer erheblichen Verminderung der Leistungs- und Arbeitsfähigkeit sowie einer massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität.
Tagesschläfrigkeit bei Narkolepsie
Die Tageschläfrigkeit (EDS) kann sich in unterschiedlicher Weise zeigen. Man beobachtet unter anderem:
Viele Patienten erholen sich mithilfe geplanter Schlafpausen am Tag über 15 bis 60 Minuten (bei Kindern/Jugendlichen zum Teil auch länger). Die Schläfrigkeit kehrt in der Regel jedoch bereits nach etwa ein bis vier Stunden zurück.
Kataplexie
Kataplexie gilt als pathognomonisches Symptom bei Narkolepsie und tritt bei 60-70% der Patienten auf. Sie ist als plötzlicher, bilateraler Verlust des Haltemuskeltonus (bei circa 20% unilateral), der durch starke Emotionen ausgelöst wird, definiert. Am häufigsten lösen Lachen, Stolz und Überraschung aber auch Wut und Ärger die Kataplexien aus. Die Kataplexie beginnt häufig mit einer Erschlaffung der Gesichts- und Nackenmuskulatur, die sich dann zum Teil ausbreitet und die Glieder und Rumpfmuskulatur miteinbezieht. Bei einer Kataplexie sind die Patienten bei Bewusstsein, es sei denn der Zustand geht in eine Schlafattacke und/oder eine hypnagoge Halluzination über. Die mimische Muskulatur ist immer einbezogen, glatte Muskulatur, respiratorische und Zungen-Schlund-Muskulatur sind nie betroffen. Kataplexien, die nur wenige Muskelgruppen betreffen, können so unauffällig sein, dass sie von Außenstehenden nicht bemerkt werden und von den Betroffenen als „nicht-krankhaft“ bewertet werden. Kataplexien sind meist kurz (zwischen fünf und 30 Sekunden) und enden immer sehr schnell. In seltenen Fällen können sie 30 Minuten und länger andauern. Ein über Stunden bis Tage anhaltender „Status Kataplektikus“ tritt vorwiegend nach plötzlichem Absetzen von antikataplektisch wirkenden Medikamenten auf.
Gestörter Nachschlaf
Der Nachtschlaf ist bei mindestens 65% der Patienten mit Narkolepsie gestört. Während die Patienten selten über Einschlafschwierigkeiten klagen, kommt es häufig zu Unterbrechungen des Nachtschlafs mit kurzen oder längeren Wachperioden. Die Gesamtschlafzeit über 24 Stunden bewegt sich bei narkoleptischen Personen häufig im normalen Rahmen. Das Ausmaß der Schlaffragmentation ist möglicherweise mit lebhaften Träumen und/oder Alpträumen assoziiert. REM-Schlaf-Verhaltensstörung (rapid eye movement sleep behaviour disorder [RBD]), Restless-Legs-Syndrom (RLS) und Periodic-Limb-Movement-Disorder (PLMD) sowie schlafbezogene Atemstörungen können die Leistungsfähigkeit am Tag zusätzlich negativ beeinflussen und die EDS verstärken. Etwa 50% der Patienten berichten über Schlafparalysen, hypnagoge oder hypnopompe Halluzinationen. Unter Umständen sind es gerade die Schlafstörungen, die die Patienten veranlassen, ärztliche Hilfe zu suchen.
Komorbiditäten
Psychiatrische Störungen, insbesondere Depressionen oder Angststörungen kommen bei 20 bis 30% der Patienten mit Narkolepsie vor. Darüber hinaus leiden Patienten mit Narkolepsie gehäuft unter metabolischen Störungen mit Adipositas.
Diagnostik
Die Diagnose Narkolepsie wird in der Regel anhand der klinischen Anamnese sowie zusätzlicher apparativer Schlaf-Wach-Diagnostik im Schlaflabor gestellt. Die Schlaflaboruntersuchungen beinhalten eine polysomnografische Messung (PSG), gefolgt von einem Multiplen-Schlaflatenz-Test (MSLT). Das Ergebnis einer Hypokretin-Messung im Liquor kann ebenfalls als diagnostisches Kriterium genutzt werden. Ein positiver Nachweis eines HLA DQB1*0602-Haplotyps ist weder für die Narkolepsie Typ 1 noch Typ 2 ein Diagnosekriterium.
Diagnosekriterien
Zu den Diagnosekriterien für einen eine Narkolepsie von Typ 1 gehören:
chronische Tagesschläfrigkeit (> 6 Monate)
Kataplexien (> 1)
eine mittlere Einschlaflatenz von < 8 Minuten im MSLT
Zur Hypokretin-Messung wird unter anderem geraten, wenn sich der MSLT nicht eindeutig interpretieren lässt oder differenzialdiagnostische Unsicherheiten bestehen.
Narkolepsie Typ 2
Die Diagnose einer Narkolepsie Typ 2 ist in erster Linie eine Ausschlussdiagnose. Die Kriterien für Narkolepsie Typ 2 beinhalten neben der chronischen Tagesschläfrigkeit dieselben MSLT-Kriterien. Es dürfen keine Kataplexien vorliegen und auch der Hypokretin-Wert darf nicht pathologisch erniedrigt sein.
Differenzialdiagnosen
Tagesschläfrigkeit tritt als Begleiterscheinung und Symptom bei einer Vielzahl von Erkrankungen auf. Sie kann aber auch die Folge von mangelnder Nachtruhe sein (z. B. bei Schichtarbeit, nächtlichem Lärm, andauerndem Stress oder Lebensstil mit ungünstigem Schlaf-Wach-Rhythmus).
Narkolepsie ist nicht heilbar. Patienten mit dieser Erkrankung bedürfen gewöhnlich einer lebenslangen, symptomatischen Behandlung. Die Therapie der Narkolepsie beruht auf einer Kombination von pharmakologischer Behandlung, der Änderung von Gewohnheiten bzw. des Lebensstils und Verhaltensmaßnahmen. Bei Kindern müssen die meisten Wirkstoffe noch off-Label eingesetzt werden – Studien mit Pitolisant und Solriamfetol sind jedoch im Gange.
Nicht-pharmakologische Maßnahmen
Bereits einfache Maßnahmen wie die Einplanung von Tagesschlafzeiten und die Überprüfung und Beachtung der Schlafhygiene können dazu beitragen, die Tageschläfrigkeit zu verringern. Allein reicht dies in der Regel jedoch nicht aus. Ein spezifisch auf die Symptome und Bedürfnisse des Patienten mit Narkolepsie ausgerichtetes Rehabilitationsprogram kann empfehlenswert sein. Viele Patienten profitieren außerdem von einer psychologischen Behandlung und sozialmedizinischen Beratung. Die professionelle psychosoziale Hilfe unterstützt den Patienten z. B. bei der Krankheitsbewältigung und der Tagesstrukturierung. Bei psychiatrischen Komorbiditäten ist eine entsprechende Therapie erforderlich. Die modulare Therapie sollte in ihrer Gesamtheit auf die Symptome und Komorbiditäten des Patienten ausgerichtet werden und dabei insbesondere auch die individuelle Arzneimittelwirksamkeit und -verträglichkeit sowie potenzielle Arzneimittelwechselwirkungen im Einzelfall berücksichtigen.
Pharmakologische Therapie
Da eine kausale Therapie nicht zur Verfügung steht, ist auch die pharmakologische Therapie eine rein symptomatische. Die wichtigsten Ziele der Narkolepsie-Therapie sind die Verringerung der Tagesschläfrigkeit und die Reduktion von Kataplexien.
Tagesschläfrigkeit
Zur Überwindung der Tagesschläfrigkeit kommen vor allem Stimulanzien zum Einsatz.
Stimulanzien der ersten Wahl bei Tagesschläfrigkeit als alleiniges oder Hauptsymptom bei Erwachsenen:
Narkolepsie ist unheilbar. Die Erkrankung verringert jedoch nicht die Lebenserwartung der Patienten. Krankheitsverlauf, Beschwerden, Einschränkungen und Komorbiditäten sind im Einzelfall unterschiedlich und müssen bei der Therapie individuell berücksichtigt werden. Mithilfe der Kombination von Verhaltensmaßnahmen, ggf. Lebensstiländerungen und pharmakologischer Therapie können einige Patienten belastende Einschränkungen überwinden und sich mit der Krankheit arrangieren.
Hinweise
Möglicherweise können spezifische monoklonale Antikörper einem schleichenden Verlust der Hypokretin bildenden Zellen in Zukunft entgegenwirken. Darüber hinaus könnten selektive Hypokretin-Rezeptor-Agonisten neue Therapieoptionen bieten.
Bassetti, Kallweit, Dauvilliers, Lammers et al. (2021): European guideline and expert statements on the management of narcolepsy in adults and children. Eur J Neurol. 2021 Sep;28(9):2815-2830. DOI: 10.1111/ene.14888
Partinen, Kronholm (2017): Epidemiology: principles and application in sleep medicine. In: Chokroverty S, ed. Sleep Disorders Medicine: Basic Science, Technical Considerations and Clinical Aspects, 4th edn. New York, NY: Springer; 2017:485-521.
Ohayon, Priest, Zulley (2002): Prevalence of narcolepsy symptomatology and diagnosis in the European general population. Neurology. 58:1826-1833. DOI: 10.1212/WNL.58.12.1826
Liblau, Vassalli, Seifinejad et al. (2015): Hypocretin (orexin) biology and the pathophysiology of narcolepsy with cataplexy. Lancet Neurol. 14:318-328. DOI: 10.1016/S1474-4422(14)70218-2
Latorre, Kallweit, Armentani et al. (2018): T cells in patients with narcolepsy target self-antigens of hypocretin neurons. Nature. 562:63-68. DOI: 10.1038/s41586-018-0540-1
Universität Witten/Herdecke (2018): Forscher decken Ursachen der seltenen Schlafkrankheit Narkolepsie auf. Hoffnung auf neue Behandlungsmöglichkeiten. Pressemitteilung.
Partinen, Kornum, Plazzi et al. (2014): Narcolepsy as an autoimmune disease: the role of H1N1 infection and vaccination. Lancet Neurol. 13(6):600-613.
Ahmed, Volkmuth, Duca et al. (2015): Antibodies to influenza nucleoprotein cross-react with human hypocretin receptor 2. Science Translational Medicine 7(294) DOI: 10.1126/scitranslmed.aab2354