
Der Hirnabszess stellt eine lokale Infektion des Hirngewebes dar und entsteht meist durch hämatogene Keimverschleppung oder in Folge von Nachbarschaftsprozessen. Auch durch ein Schädel-Hirn-Trauma oder durch neurochirurgische Eingriffe können Erreger ins Gehirn gelangen.
Das häufigste klinische Symptom ist Kopfschmerz. Die klassische Trias Kopfschmerz, Fieber und fokales neurologisches Defizit kommt nur bei etwa 20% der Patienten vor. Die diagnostische Aufarbeitung und die Therapie des Hirnabszesses werden in der aktualisierten S1-Leitlinie dargestellt [1].
Neurungen in der aktualisierten Leitlinie zum Hirnabszess
Unter Federführung von Professor Dr. Roland Nau, Geriatrisches Zentrum, Evangelisches Krankenhaus Göttingen-Weende, und Institut für Neuropathologie, Georg-August-Universität Göttingen, wurde die Leitlinie überarbeitet. Neuigkeiten gibt es dabei vor allem zur antibiotischen Therapie.
Häufigeres Vorkommen von Hirnabszessen?
Insgesamt ist die Inzidenz von Hirnabszessen in entwickelten Ländern niedrig. Laut Leitlinie konnte eine Inzidenzsteigerung beispielsweise in Dänemark festgestellt werden. Dort stieg die Inzidenz von 0,60/100.000 Personen-Jahre im Zeitraum von 1982-1988 auf 0,90/100.000 Personen-Jahre zwischen 2010 und 2016.
Vancomycin
Die Leitlinie empfiehlt bei der Therapie mit Vancomycin eine individuelle Anpassung der Dosis. Die Ergebnisse verschiedener Studien weisen darauf hin, dass die Anwendung spezieller computergestützter Programme zur Berechnung der Pharmakokinetik des Wirkstoffes bzw. eine kontinuierliche Vancomycin-Infusion hilfreich sein könnten, um die Wirkstoff-Konzentration ist den zentralnervösen Kompartimenten zu optimieren. Weiterhin könne die Nephrotoxizität dadurch minimiert werden, so die Autoren.
Linezolid
Neue Daten gibt es auch zu Linezolid. Das Antibiotikum zeigte in einer Dosierung von zweimal 600 mg täglich eine gute Wirksamkeit bei Hirnabszessen, die durch Staphylokokken und Nocardien verursacht wurden. Dies konnte sowohl durch pharmakokinetische Daten als auch durch Fallberichte gezeigt werden.
Lange Antibiotika-Gaben bei Nocardia und Aspergillus
Bei immunsupprimierten Patienten kommen durch Nocardia spp. verursachte Hirnabszesse meist multipel, also an mehreren Lokalisationen, vor und komplizieren mit zunehmender Häufigkeit die Therapie. Eine langdauernde antibiotische Therapie (≥ 1 Jahr) ist erforderlich. In einer Studie zeigten Cotrimoxazol und Linezolid gute Ergebnisse.
Auch bei Hirnabszessen, die durch Aspergillus spp. verursacht werden, ist eine langdauernde antimikrobielle Therapie mit Voriconazol nötig.
Wichtige Empfehlungen der Leitlinie
Neben den Neurungen werden in der Leitlinie die wichtigsten Empfehlungen rund um Diagnostik und Therapie des Hirnabszesses zusammengefasst. Einige dieser Empfehlungen werden im Folgenden exemplarisch aufgeführt.
Bildgebende Diagnostik
In der Akutdiagnostik wird in der Regel ein kraniales CT (cCT) durchgeführt. Eine bessere Sensitivität besitzt das cMRT und ist daher diagnostisch entscheidend. Als MR-Standardprogramm empfiehlt die Leitlinie eine T1-Wichtung ohne und mit Kontrastmittel, eine T2- oder FLAIR-Wichtung sowie eine Diffusionswichtung.
Zu beachten ist, dass sowohl im cCT als auch im cMRT nekrotisierende Enzephalitiden (zerebrale Toxoplasmose), Granulome mit verkäsenden Nekrosen (Tuberkulome) oder zentral nekrotische Tumoren mit einem eitrigen Hirnabszess verwechselt werden können.
Erregernachweis
Um die verantwortlichen Erreger zu identifizieren, empfiehlt die Leitlinie Blutkulturen und die Untersuchung des Abzessinhaltes. Dieser kann durch stereotaktische oder Ultraschall-gesteuerte Punktion, Drainage oder Abszessexzision gewonnen werden. Die Sensitivität der Erregeridentifikation konnte in Studien durch molekularbiologische Methoden verbessert werden.
Weiterhin erachten die Autoren eine kulturelle und molekularbiologische Differenzierung der Erreger als unerlässlich, da nicht selten eine polymikrobielle Ursache zugrunde liegt.
Lumbalpunktion zum Erregernachweis?
Die Lumpalpunktion zeigt eine Sensitivität von lediglich 25% beim Erregernachweis. Zusätzlich ist die Lumbalpunktion zur Liquorgewinnung bei raumfordernden Abszessen kontraindiziert, da die Gefahr einer transtentoriellen und/oder foraminalen/zerebellären Herniation besteht. Weiterhin könnte durch die Lumbalpunktion eine Abszessruptur in den Subarachnoidalraum oder in die Ventrikel verursacht werden.
Empirische antibiotische Therapie
Meist ist eine kombinierte operative und antibiotische Behandlung angezeigt. Eine alleinige antibiotische Therapie ist laut Leitlinie nur zu rechtfertigen, wenn kleine Abszesse mit einem Durchmesser ≤ 2,5 cm vorliegen oder sich noch keine Ringstrukturen nach Kontrastmittelgabe zeigen.
Bei der Wahl der empirischen antibiotischen Therapie unterscheidet die Leitlinie zwischen außerhalb und innerhalb des Krankenhauses erworbenen intrakraniellen Abszessen.
Bei außerhalb des Krankenhauses erworbenen intrakraniellen Abszessen sollte bis zum Erregernachweis wie folgt therapiert werden:
- Cephalosporin der Gruppe 3a (Cefotaxim oder Ceftriaxon) hochdosiert plus Metronidazol
- Bei Verdacht auf Methicillin (Oxacillin)-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) soll Vancomycin hinzugegeben werden.
Bei innerhalb des Krankenhauses, postoperativ oder posttraumatisch erworbenen intrakraniellen Abszessen empfiehlt die Leitlinie zur empirischen Therapie Meropenem plus Vancomycin (alternativ ein Cephalosporin Gruppe 3a [Cefotaxim oder Ceftriaxon] plus Metronidazol plus Vancomycin). Daneben ist die Resistenzlage des jeweiligen Krankenhauses zu berücksichtigen.
Vancomycin-Spiegel kontrollieren
Bei durch MRSA verursachten Hirnabszessen zitiert die Leitlinie eine Studie, welche hier einen Vancomycin-Talspiegel zwischen 15 und 20 mg/l empfiehlt. Die Ermittlung der idealen Dosis mithilfe eines Computersimulationsprogrammes wurde bereits in den Neurungen erwähnt.
Empirische Therapie bei HIV-Patienten und nach Transplantationen
Da Patienten mit HIV ein hohes Risiko für eine zerebrale Toxoplasmeninfektion haben, sollte bei diesen Patienten die empirische Therapie um Pyrimethamin und Sulfadiazin oder Pyrimethamin und Clindamycin oder um Cotrimoxazol ergänzt werden.
Patienten nach Organ- und Knochenmarkstransplantationen sollten in der empirischen Therapie zusätzlich Voriconazol und Cotrimoxazol erhalten.
Zusätzlich Kortikosteroide?
Die adjuvante Gabe von Kortikosteroiden kann die Konzentration der Antibiotika im Abszess reduzieren. Die klinische Bedeutung dieses Effektes ist laut Leitlinie unklar. Eine Empfehlung zum adjuvanten Einsatz von Kortikosteroiden über 5-8 Tage gibt die Leitlinie bei Vorliegen eines symptomatischen ausgeprägten perifokalen Ödems oder bei drohender Herniation. Weiterhin wird die Gabe empfohlen bei multiplen Abszessen mit einem deutlichen perifokalen Ödem, wenn diese Abszesse nicht alle operativ angehbar sind. Als dritte Indikation nennt die Leitlinie die Lokalisation des Abszesses in Hirnregionen, die eine besondere Ödemneigung aufweisen oder bei drohendem Okklusivhydrozephalus.
Prophylaktische Gabe von Antiepileptika
In 20-70% der Fälle gehen Hirnabszesse mit epileptischen Anfällen einher. Da aber keine Evidenz zur Gabe von Antiepileptika vorliegt, empfiehlt die Leitlinie die prophylaktische Gabe nicht.