Schlafprobleme bei entwicklungsgestörten Kindern

Zwei von drei Kinder mit einer Entwicklungsstörung leiden unter Schlafproblemen. Therapie der ersten Wahl sind eine gute Schlafhygiene, Verhaltensinterventionen, Aufklärung und Schulungen. Erst wenn diese ohne Wirkung bleiben, kann eine Pharmakotherapie erwogen werden.

Schlaflosigkeit Kind

In Industrieländern leiden bis zu 15% der Kinder und Jugendlichen (abhängig von der verwendeten Methode und Definition) an neurologischen, emotionalen, verhaltensbezogenen und intellektuellen Störungen (NDEBID), zu der neben der Autismus-Spektrum- sowie der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung auch Erkrankungen wie die Cerebralparese, Epilepsie sowie Lernstörungen (intellektuelle Störungen) zählen. Bis zu 75% dieser Kinder und Jugendlichen mit NDEBID haben zudem Probleme beim Ein- oder Durchschlafen. Zum Vergleich: Bei den Heranwachsenden ohne Entwicklungsstörungen sind es nur 3% bis 36%, die unter Schlafproblemen leiden.

Chronischer Schlafmangel beeinträchtigt die Entwicklung des Kindes

Chronischer Schlafmangel steigert jedoch nicht nur das Risiko für Gedächtnisschwäche, Stimmungsstörungen, Verhaltens- sowie Schulprobleme. Er beeinträchtigt auch die kognitive Entwicklung und Lernfähigkeit, begünstigt psychische Störungen, wie Depressionen, Suizidalität sowie Selbstverletzungen, und erhöht die Wahrscheinlichkeit, an Adipositas sowie Stoffwechselstörungen zu erkranken. Zudem verschlechtert der chronischer Schlafmangel der Kinder auch das Wohlbefinden der anderen Familienmitglieder deutlich.

Extinktion bei Schlafstörungen als bewährte Intervention

Bei der Extinktion bringen die Eltern oder Betreuer die Kinder zur gewohnten Zeit ins Bett, schenken ihnen dann aber bis zum Zeitpunkt des Aufstehens keine weitere Aufmerksamkeit mehr – auch dann nicht, wenn sie weinen, betteln oder schreien. Neben dieser sogenannten vollständigen Extinktion existieren auch verschiedene abgestufte Formen. Zudem können die Schlafenszeit angepasst oder positive Routinen sowie geplante Aufweckzeiten (Aufwecken des Kindes 15 bis 30 Minuten vor dem nächtlichen Aufwachen) eingebaut werden. Diese Verhaltensinterventionen basieren auf Lernprinzipien und können das Schlafergebnis signifikant verbessern. Für Kinder mit NDEBID sind allerdings nur begrenzt Daten verfügbar.

Psychoedukation und Training als grundlegender Therapie-Bestandteil

Grundlegender Bestandteil bei der Behandlung von Schlafproblemen bei Kindern ist das Elterntraining und die Psychoedukation, also die Vermittlung von Wissen über Schlaf und Schlafstörungen. Diese beiden Therapieoptionen verbessern das Verständnis der Betroffenen für ihre Erkrankung sowie die Compliance und das Selbstmanagement. Im Folgenden sind einige nützliche Tipps für einen besseren Schlaf sowie Gute-Nacht-Geschichten auf Englisch aufgelistet.

Infoblätter für Eltern:


Informationen für Jugendliche:


Schlafposter und Gute-Nacht-Geschichten für Kinder:

Günstige Verhaltensweisen reduzieren Schlafstörungen

Folgende Maßnahmen helfen den Heranwachsenden dabei, leichter ein- und besser durchzuschlafen:

  • Gleichbleibende Abendroutinen einführen. Diese sollten sich mit der abendlichen Melatonin-Ausschüttung decken, die bei gedämpften Licht erfolgt (Dim-Light-Melatonin-Onset: DLMO) und dem Einschlafen um etwa zwei Stunden vorausgeht.
  • Späten Mittagsschlaf vermeiden
  • Auf übermäßige körperliche Bewegung, erregende oder beunruhigende/störende geistige oder emotionale Aktivitäten sowie den Konsum von stimulierenden Substanzen kurz vor dem Schlafengehen verzichten
  • Fernseher, Computer, Smartphone oder andere elektronische Geräte ein bis zwei Stunden vor dem Schlafengehen ausschalten
  • Schlaffördernde Umgebung schaffen. Beispiel hierfür ist eine bequeme Bettwäsche, die richtige Raumtemperatur (19 °C bis 22 °C), Ruhe und wenig Licht z. B. durch Herunterlassen der Rollläden. Gegen vorhandenes Licht hilft eine orangefarbene Schutzbrille und gegen Lärm Ohrstöpsel.
  • 30 Minuten vor dem Schlafengehen nichts mehr essen
  • Nachmittags keine koffeinhaltigen Getränke oder Energiegetränke zu sich nehmen
  • Kohlenhydrat- und tryptophanreiche Lebensmittel fördern das Einschlafen
  • Entspannungsübungen, wie z. B. Meditation oder Achtsamkeit, vor dem Einschlafen durchführen.

Off-Label-Use von Hypnotika bei Schlafstörungen von Kindern

Eine pharmakotherapeutische Behandlung sollte laut fachlichen Leitlinien und Wissenschaftlern nur dann in Betracht gezogen werden, wenn verhaltenstherapeutische Interventionen versagt haben. Infrage kommen:

  • Antihistaminika, wie Diphenhydramin oder Hydroxyzin, sind die am häufigsten verordneten Beruhigungsmittel, obwohl es keine wissenschaftlichen Belege hierfür gibt.
  • Clonidin ist ein beliebtes Mittel zur Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern mit neurologischen Entwicklungsstörungen. In der Literatur existieren allerdings nur wenige Belege für die Wirksamkeit.
  • Z-Medikamente. Es gibt nur wenige Studien, die die Einnahme von Zolpidem, Zaleplon und Eszopiclon bei Kindern und Jugendlichen analysierten. Hinzu kommt, dass die Ergebnisse der vorhandenen Untersuchungen widersprüchlich sind.
  • Benzodiazepine, wie Clonazepam und Flurazepam, werden für die routinemäßige Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern nicht empfohlen, können allerdings zur Therapie vorübergehender Schlaflosigkeit, insbesondere wenn diese mit Tagesangst einhergeht, verordnet werden. Eine weitere Indikation von Clonazepam sind schwere Parasomnien/Nachtangst.
  • Trizyklische Antidepressiva werden bei Kindern aufgrund ihres schlechten Sicherheitsprofils nicht empfohlen.
  • Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, wie Sertralin, können bei Bettangst verordnet werden.

Die Verwendung von pflanzlichen und anderen Mitteln, wie Baldrian, Lavendel, Kamille und Kava, basiert auf empirischen Überlieferungen, forschungsbasierte Beweise fehlen.

Melatonin bei Entwicklungsstörungen wirksam

Schlafprobleme aufgrund einer verspäteten Melatonin-Ausschüttung zählen zu den häufigsten Ursachen für chronische Schlafstörungen im Kindesalter. Die Einnahme von Melatonin oder eine Behandlung mit hellem Licht können allerdings die Schlaflatenz verkürzen und die Ausschüttung des endogenen Neurohormons bei schwachem Licht beschleunigen. Zudem konnten mehrere Studien und Übersichtsartikel die Wirksamkeit einer Melatonin-Therapie bei Kindern mit NDEBID nachweisen. Belege, welche Dosierungen wirksam sind, sind allerdings nur begrenzt verfügbar. Auch die Dokumentation der typspezifischen Wirksamkeit bei den verschiedenen Kategorien von Schlafproblemen lässt zu wünschen übrig.

Autor:
Stand:
16.08.2022
Quelle:

Ogundele MO, Yemula C: Management of sleep disorders among children and adolescents with neurodevelopmental disorders: A practical guide for clinicans. World J Clin Pediatr., DOI: 10.5409/wjcp.v11.i3.239.

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