Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI)

Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) werden zur Behandlung und Prophylaxe von Depressionen, Panik- und Angststörungen, Zwängen sowie posttraumatischen Belastungsstörungen angewendet.

SSRI WM

Anwendung

SSRI sind Antidepressiva, die zur Behandkung folgender Erkrankungen angewendet werden können:

Wirkmechanismus

SSRI sind potente Inhibitoren der neuronalen Wiederaufnahme von Serotonin (5-HT) im synaptischen Spalt. Durch die Wiederaufnahmehemmung von Serotonin steigt die Serotoninkonzentration zwischen den Neuronen und die serotonerge Signalübertragung im ZNS verbessert sich. Bei affektiven Störungen konnte gezeigt werden, dass die Expression des Serotonintransporters (SERT), der die Wiederaufnahme von Serotonin in die Nervenzellen vermittelt, im Thalamus und Hypothalamus stark reduziert ist. Ergebnisse aus Metaanalysen konnten bestätigen, dass stark depressive Patienten eine geringere Dichte von SERT im Mittelhirn und in der Amygdala aufweisen.

Dosierungen

Folgende Dosierungsempfehlungen können als Entscheidungshilfe für die Dosisfindung herangezogen werden:

  • Citalopram: Initial: 10-20 mg; Erhaltung: 20-40 mg
  • Escitalopram: Initial: 5-10 mg; Erhaltung: 10-20 mg
  • Fluoxetin: Initial: 20 mg; Erhaltung: 20-60 mg
  • Fluvoxamin: Initial: 50-100 mg; Erhaltung: 100-300 mg
  • Paroxetin: Initial: 20 mg; Erhaltung: 20-50 mg
  • Sertralin: Initial: 25-50 mg; Erhaltung: 50-200 mg

Nebenwirkungen

Häufige Nebenwirkungen unter der Anwendung von SSRI sind:

  • Schlaflosigkeit
  • Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, Somnolenz
  • Übelkeit, Diarrhoe, Mundtrockenheit
  • Ejakulationsversagen
  • Müdigkeit

Symptome eines Serotoninsyndroms sind:

  • Fieber
  • Myoklonien
  • Schwitzen
  • Tremor
  • Hyperreflexe 
  • Verhaltens- und Bewusstseinsstörungen

Wechselwirkungen

Alle Verbindungen sind zwar strukturchemisch heterogen, unterscheiden sich jedoch kaum in ihren pharmakodynamischen Eigenschaften. Hinsichtlich der Pharmakokinetik unterscheiden sich die SSRI jedoch, was zu Arzneimittel-Interaktionen führen kann.

Fluoxetin und Paroxetin sind starke Inhibitoren des Cytochrom P450 Isoenzyms CYP2D6. Es ist also mit Wechselwirkungen zu rechnen, falls diese Wirkstoffe zusammen mit Substanzen verabreicht werden, die über diesen Weg abgebaut werden. Also Folge können die Plasmaspiegel klinisch signifikant ansteigen. Bei gleichzeitiger Einnahme des Betablockers Metoprolol ist bspw. eine Erhöhung der AUC (area under the curve) um 400 bis 600 Prozent möglich. Werden Arzneimittel über CYP2D6 bioaktiviert, kann sich bei Kombination die Bildung wirksamer Metabolite vermindern und es besteht die Gefahr eines Therapieversagens. Starke Inhibitoren von CYP2D6 verhindern z.B. die Biotransformation des Prodrugs Tamoxifen zu seinem aktiven Metaboliten.

Sertralin ist ein Inhibitor von CYP2D6 und CYP2B6. Das Isoenzym CYP2B6 ist u.a. für die Bildung der aktiven Metaboliten des Prodrugs Cyclophosphamid verantwortlich. Bei Kombination der beiden Wirkstoffe, kann die zytostatische Wirkung abgeschwächt werden.

In Standarddosierung hemmen Citalopram, Escitalopram und Sertralin in geringem Maße CYP2D6. Dies ist jedoch ohne klinische Bedeutung.

Das SSRI Fluvoxamin ist ein starker Inhibitor von CYP1A2 sowie CYP2C19. Der Wirkstoff ist deshalb kontraindiziert bei Patienten, die mit dem CYP1A2-Substrat Agomelatin behandelt werden.

Das Ansprechen auf die SSRI-Therapie kann individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Dies liegt u.a. an Polymorphismen der Cytochrom P450 Enzyme CYP2C19 und CYP2D6.

Die SSRI Paroxetin, Citalopram, Fluvoxamin und Sertralin werden langsam, aber vollständig resorbiert und besitzen eine lange terminale Halbwertszeit von ca. 20 Stunden. Durch die lange Halbwertszeit müssen die Wirkstoffe zwar nur einmal täglich eingenommen werden, allerdings steigt hierdurch auch das potenzielle Risiko einer Kumulation. Fluoxetin sowie sein Metabolit Norfluoxetin zeichnen sich durch besonders lange Plasmahalbwertszeiten von 2 bis 4 Tagen bzw. bis zu 7 Tagen aus.

Kontraindikationen

Aufgrund der Tatsache, dass SSRI in Kombination mit Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAO-Hemmern), Johanniskraut oder Clomipramin zu toxischen Serotoninkonzentrationen im ZNS führen können, sind diese Kombinationen kontraindiziert. Je nach Verbindung gelten allerdings unterschiedliche Kontraindikationen, die der jeweiligen Fachinformation entnommen werden können.

Hinweise

Folgende Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen sind bei der Anwendung von SSRI zu beachten:

  • Serotonerge Arzneimittel: SSRI sollten nicht zusammen mit serotonergen Wirkstoffen (z.B. Tramadol, Sumatriptan) verwendet werden, da dies zu einem Serotonin-Syndrom führen kann.
  • Serotonin-Syndrom: Symptome wie Hyperthermie, Muskelstarre, Tremor und mentale Veränderungen können auftreten. Bei Verdacht muss das SSRI abgesetzt und eine symptomatische Behandlung eingeleitet werden.
  • Verlängerung des QT-Intervalls: SSRIs können eine dosisabhängige Verlängerung des QT-Intervalls verursachen, was zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Vorsicht bei Patienten mit Herzerkrankungen.
  • Krampfanfälle: Bei Auftreten von Krampfanfällen ist das SSRI abzusetzen. Vorsicht bei Patienten mit Epilepsie.
  • Diabetes: SSRI können die Blutzuckereinstellung beeinflussen, möglicherweise müssen die Dosen von Insulin und/oder oralen blutzuckersenkenden Medikamenten angepasst werden.
  • Hyponatriämie: Selten treten Fälle von Hyponatriämie auf, besonders bei älteren Patienten oder Patienten mit Volumenmangel.
  • Manie: Bei Patienten mit manisch-depressiven Erkrankungen kann es zu manischen Phasen kommen. In diesem Fall muss das SSRI abgesetzt werden.
  • Paradoxe Angstsymptome: Zu Behandlungsbeginn können verstärkte Angstsymptome auftreten, die meist nach 14 Tagen abklingen. Eine niedrige Anfangsdosis wird empfohlen.
  • Suizid / Suizidgedanken oder klinische Verschlechterung: Patienten müssen engmaschig überwacht werden, besonders zu Beginn der Behandlung und nach Dosisanpassungen.
  • Akathisie / psychomotorische Unruhe: SSRI können Akathisie verursachen, eine unangenehme Ruhelosigkeit.
  • Hämorrhagien: Es kann zu verlängerten Blutungszeiten kommen, besonders bei Patienten mit Blutungsanomalien oder bei gleichzeitiger Einnahme von blutverdünnenden Medikamenten.
  • Absetzreaktionen: Symptome wie Schwindel, Schlafstörungen, Übelkeit und Reizbarkeit können beim Absetzen auftreten. Eine schrittweise Reduktion der Dosis wird empfohlen.
  • Psychosen: Die Behandlung von psychotischen Patienten kann die psychotischen Symptome verstärken.
  • EKT (Elektrokrampftherapie): Vorsicht bei gleichzeitiger Anwendung von SSRI und Elektrokrampftherapie.
  • Johanniskraut: Die gleichzeitige Einnahme von SSRI und Johanniskraut kann die Häufigkeit von Nebenwirkungen erhöhen.
  • Engwinkelglaukom: SSRI können zu einer Verengung des Augenwinkels führen, was den Augeninnendruck erhöhen kann.
  • Sexuelle Funktionsstörung: SSRI/SNRI können Symptome einer sexuellen Funktionsstörung verursachen, die auch nach Absetzen des Medikaments bestehen bleiben können.

Wirkstoffe

Insgesamt sind sechs SSRI auf dem deutschen Markt zugelassen:

Autor:
Stand:
17.07.2024
Quelle:
  1. Medizinische Chemie: Targets und Arzneistoffe, Steinhilber, Schubert-Zsilavecz, Roth
  2. Oberdisse E, Hackenthal E. Pharmakologie und Toxikologie. Springer-Verlag, 2013
  3. Fachinformation Citalopram STADA
  4. Fachinformation Cipramil
  5. Fachinformation Sertralin
  6. Mutschler Arzneimittelwirkungen, Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie, Begründet von Ernst Mutschler, 11. Auflage 2020, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

Abbildung

Adapted from „Serotonin Pathways and SSRIs”, by BioRender.com

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