
Hintergrund
Im Jahr 1997 wurde der Wirkstoff Fenfluramin, der zu diesem Zeitpunkt als Appetitzügler im Handel war, aufgrund kardialer Nebenwirkungen vom Markt genommen. Seit 2013 hat der Wirkstoff unter dem Präparatenamen Fintepla zur Behandlung des Dravet-Syndroms den Orphan Drug Status. Am 15. Oktober 2020 sprach sich der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) für die Zulassung des Arzneimittels der Firma Zogenix GmbH aus. Seit dem 01. Februar 2021 ist das Präparat auf dem deutschen Markt verfügbar.
Was ist Fintepla und wofür wird es angewendet?
Das Arzneimittel Fintepla enthält den Amphetamin-ähnlichen Wirkstoff Fenfluramin. Es ist ab einem Alter von zwei Jahren zur Behandlung von Krampfanfällen im Zusammenhang mit dem Dravet-Syndrom als Zusatztherapie zu anderen Antiepileptika zugelassen. Beim Dravet-Syndrom handelt es sich um eine schwere, therapierefraktäre epileptische Enzephalopathie, die bereits im Kleinkindalter auftritt. Sie ist gekennzeichnet durch generalisierte tonisch-klonische Anfälle, die initial oft mit Fieber einhergehen. Die Patienten leiden oft an geistigen Entwicklungsstörungen und haben ein erhöhtes Risiko für einen frühzeitigen unerwarteten Tod durch Epilepsie (SUDEP, sudden unexpected death in epilepsy).
Wie wird Fintepla angewendet?
Fintepla ist als Lösung zum Einnehmen im Handel. Die Behandlung sollte durch einen in der Therapie von Epilepsie erfahrenen Arzt eingeleitet und überwacht werden. Aufgrund des Nebenwirkungsprofils sowie der Gefahr des nicht bestimmungsgemäßen Gebrauchs zur Gewichtskontrolle adipöser Patienten, wurde ein Programm für den kontrollierten Zugang zu Fintepla eingerichtet.
Ärzte müssen vor Therapiebeginn eine Verschreiber-Identifikationsnummer (Verschreiber-ID) anfordern, die auf dem Rezept vermerkt und in der Apotheke kontrolliert werden muss. Weiterhin soll bei den Patienten vor der Behandlung eine Echokardiographie durchgeführt werden, um eine bestehende Herzklappenerkrankung oder pulmonale arterielle Hypertonie auszuschließen.
Das Absetzten der Behandlung sollte ausschleichend erfolgen, um das Risiko für vermehrte Krampfanfälle und eines Status epilepticus zu vermeiden.
Dosierung
Fintepla wird nach Gewicht dosiert. Es wird hierbei zudem unterschieden zwischen Patienten die kein Stiripentol und solchen, die dieses Antiepileptikum zusätzlich einnehmen.
Patienten, die kein Stiripentol einnehmen
Die Anfangsdosis beträgt 0,1 mg/kg Fenfluramin zweimal täglich (entspricht 1,0 ml bei 25 kg). Nach einer Woche kann die Dosis auf 0,2 mg/kg täglich erhöht werden, wenn der Wirkstoff vertragen und eine weitere Dosiserhöhung benötigt wird. Nach weiteren 7 Tagen kann, wenn nötig die Anwendung auf maximal 0,35 mg/kg zweimal täglich als empfohlene Erhaltungsdosis gesteigert werden.
Wird eine schnelle Titration benötigt, kann die Dosis auch alle vier Tage erhöht werden.
Eine Tageshöchstdosis von 26 mg (6,0 ml zweimal täglich) sollte nicht überschritten werden.
Patienten, die Stiripentol einnehmen
Die Initialdosis entspricht der Dosierung für Patienten, die kein Stiripentol einnehmen. Die empfohlene Erhaltungsdosis kann nach sieben Tagen eingestellt werden und sollte maximal 0,2 mg/kg zweimal täglich betragen. Eine Gesamtdosis von 17 mg (4,0 ml zweimal täglich) sollte nicht überschritten werden.
Wie wirkt Fintepla?
Der genaue Wirkmechanismus von Fintepla beim Dravet-Syndrom ist nicht bekannt. Der Wirkstoff Fenfluramin setzt den Neurotransmitter Serotonin frei und stimuliert dadurch mehrere Serotonin-Rezeptor-Subtypen (5-HT-Rezeptoren). Durch den Agonismus an 5-HT1D, 5-HT2A und 5-HT2C sowie dem Sigma-1-Rezeptor im Gehirn kommt es zur Reduktion der Krampfanfälle.
Gegenanzeigen
Die Einnahme von Fintepla ist in folgenden Fällen kontraindiziert:
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der genannten sonstigen Bestandteile
- Aorten- oder Mitralklappenvitium
- Pulmonale arterielle Hypertonie
- Innerhalb von 14 Tagen nach der Anwendung von Monoaminooxidase-Hemmern (MAO-Hemmern)
Nebenwirkungen
Die am häufigsten auftretenden Nebenwirkungen bei der Behandlung mit Fintepla sind:
- Verminderter Appetit
- Diarrhoe
- Fieber und Ermüdung
- Infektionen der oberen Atemwege
- Lethargie, Somnolenz
- Bronchitis
Wechselwirkungen
Die folgenden Wechselwirkungen sind bei der Anwendung von Fintepla zu berücksichtigen:
- Serotonerge Arzneistoffe wie Antidepressiva, Triptane, Antipsychotika, MAO-Hemmer: erhöhtes Risiko für ein Serotonin-Syndrom
- Stiripentol: verstärkte Wirkung von Fintepla
- CYP1A2- und CYP2B6-Induktoren können die Plasmakonzentration von Fenfluramin verringern
- Fenfluramin scheint CYP2D6 zu hemmen und CYP2B6 sowie CYP3A4 zu induzieren
- Der Hauptmetabolit Norfenfluramin scheint MATE1 zu hemmen
Studienlage
Die Zulassung von Fintepla erfolgte auf Basis zweier randomisierter, doppelblinder, multizentrischer, placebokontrollierter Parallelgruppenstudien.
Studie 1
In der dreiarmigen Phase-III-Studie (NCT02682927) wurden 119 Patienten mit einer unzureichenden Kontrolle ihrer Erkrankung am Dravet-Syndrom unter mindestens einem Antiepileptikum mit oder ohne Stimulation des Nervus vagus und/oder ketogener Ernährung im Alter von zwei bis 18 Jahren untersucht. Die am häufigsten parallel eingenommen Antiepileptika waren Valproat, Clobazam und Topiramat.
Die Dauer der Studie betrug 14 Wochen und unterteilte sich in eine sechswöchige Baseline-Phase, eine zweiwöchige Titrationsphase sowie eine zwölfwöchige Erhaltungsphase. Die Patienten wurden gleichmäßig in drei Gruppen aufgeteilt, von denen eine maximal 0,7 mg Fenfluramin/kg/Tag, eine maximal 0,2 mg Fenfluramin /kg/Tag und eine Placebo erhielt. Die Einnahme erfolgte auf zwei Einzeldosen verteilt.
In der Gruppe mit einer täglichen Fenfluramin-Dosierung von 0,7 mg/kg reduzierte sich die mittlere monatliche Anfallshäufigkeit der Baseline-Phase in der Erhaltungsphase signifikant um 62,3% (95%-CI [47,7-72,8]; p<0,0001) im Vergleich zu Placebo. In der Gruppe mit einer Dosierung von 0,2 mg/kg täglich wurde eine mittlere Reduktion um 32,4% (95%-CI [6,2-52,3]; p=0,0209) erreicht. Im Median blieben die Patienten mit einer Dosierung von 0,7 mg/kg/Tagen bis zu 25 Tage und solche mit einer Dosis von 0,2 mg/kg/Tag bis zu 15 Tage anfallsfrei, im Vergleich zu 9,5 Tagen in der Placebogruppe.
Studie 2 (1504)
In die zweiarmige Phase-III-Studie (NCT02926898) waren 87 Patienten mit einer unzureichenden Kontrolle ihrer Erkrankung am Dravet-Syndrom unter mindestens einem Antiepileptikum, einschließlich Stiripentol, mit oder ohne Stimulation des Nervus vagus und/oder ketogener Ernährung eingeschlossen, die zwischen zwei und 19 Jahre alt waren.
Die Dauer der Studie betrug 15 Wochen und unterteilte sich in eine sechswöchige Baseline-Phase, eine dreiwöchige Titrationsphase sowie eine zwölfwöchige Erhaltungsphase. Die Patienten wurden unter Erhalt des Behandlungsschemas mit Stiripentol (plus Clobazam und/oder Valproat) und möglichen weiteren Antiepileptika in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt 0,4 mg Fenfluramin/kg/Tag (maximal 17 mg/Tag), die andere Gruppe Placebo.
In der Gruppe, die zusätzlich zu Stiripentol 0,4 mg Fenfluarmin/kg/Tag erhielt, reduzierte sich die mittlere monatliche Anfallshäufigkeit der Baseline-Phase in der Erhaltungsphase um 54,0% (95% CI [35,6-67,2]; p<0,001) im Vergleich zu Placebo. Die Patienten der Fenfluramin-Gruppe blieben im Median bis zu 22 Tage anfallsfrei, im Vergleich zu 13 Tagen in der Placebogruppe.