Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) bewertete 2014 das Nutzen-Risiko-Verhältnis unterschiedlicher kombinierter hormonaler Kontrazeptiva hinsichtlich des Risikos für venöse Thromboembolien und teilte die Verhütungsmittel in drei Risikoklassen ein. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erinnern im „Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“ vom Juni 2021 erneut an die Ergebnisse des europäischen Risikobewertungsverfahrens. Dazu informiert das BfArM im vorliegenden Rote-Hand-Brief über Folgendes.
Zusammenfassung
- Kombinierte hormonale Kontrazeptiva (KHK) mit den Gestagenen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat besitzen das geringste Risiko für venöse Thromboembolien (VTE).
- Bei jeder Verordnung eines KHK sollten die unterschiedlichen VTE-Risiken der einzelnen Kombinationen berücksichtigt und insbesondere solche mit dem niedrigsten VTE-Risiko verordnet werden.
- Die individuellen Risikofaktoren der jeweiligen Patientin für Thromboembolien sollten regelmäßig überprüft und bei der Auswahl einer geeigneten Kontrazeption mit einbezogen werden.
- Ein wesentlicher Punkt ist die Aufklärung der Patientin über mögliche Anzeichen und Symptome einer venösen bzw. arteriellen Thromboembolie bei der Verordnung eines KHK.
- Für das Gespräch mit der Patientin stehen sowohl eine Checkliste für die Verschreibung als auch eine Patienteninformationskarte zur Verfügung. Diese Schulungsmaterialien sind für alle KHK mit noch unbekanntem oder einem höheren VTE-Risiko verpflichtender Teil der Zulassung. Bitte händigen Sie allen Patientinnen die Informationskarte aus.
Hintergrund zu den Sicherheitsbedenken
Das Risiko für das Auftreten einer VTE (tiefe Venenthrombose bzw. Lungenembolie) bei Anwenderinnen verschiedener KHK wurde in zahlreichen Studien untersucht. Die Gesamtschau der Daten zeigt dabei, dass sich einzelne KHK hinsichtlich des VTE‐Risikos voneinander unterscheiden, wobei Präparate, die Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat enthalten, mit dem geringsten VTE-Risiko verbunden sind.
Risikofaktoren regelmäßig überprüfen
Insgesamt ist das VTE-Risiko im ersten Jahr der Anwendung eines KHK bzw. nach einem erneuten Beginn der Anwendung (nach einer Anwendungspause von mindestens 4 Wochen) am höchsten. Ebenfalls erhöht ist das Thromboembolierisiko bei Vorliegen von Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht (BMI >30 kg/m2), Alter ab 35 Jahren, Immobilisierung und genetische Prädisposition. Diese können sich im Laufe des Lebens ändern, so dass sie regelmäßig neu beurteilt werden müssen. Zudem sollte die Patientin bei der Verordnung auf mögliche Symptome einer Thromboembolie hingewiesen werden, wobei einem beträchtlichen Teil aller Thromboembolien keinerlei offensichtliche Symptome vorausgehen.
Risikoärmere Präparate verordnen
Ergebnisse einer kürzlich im Bulletin zur Arzneimittelsicherheit erschienenen Studie zur Inzidenz von VTE in einer Kohorte von KHK-Neunutzerinnen im Alter bis 19 Jahren zeigen, dass die Verordnungen von KHK mit dem niedrigsten Risiko für venöse Thromboembolien von 32% (in den Jahren 2005-2007) auf 54% in den (Jahren 2015-2017) angestiegen sind, während die Neuverordnungen von KHK mit einem erhöhten VTE-Risiko in den gleichen Zeiträumen von 46% auf 33% sanken. Um die Verordnungen solcher KHK mit noch unbekanntem oder erhöhtem VTE-Risiko im Sinne der Patientensicherheit weiter zu reduzieren, wird in folgender Übersicht erneut an die unterschiedlichen VTE-Risiken von KHK erinnert.
Risiko für arterielle Thromboembolie
Es ist zudem bekannt, dass das Risiko für das Auftreten einer arteriellen Thromboembolie (ATE), die z.B. zu Myokardinfarkt oder Schlaganfall führen kann, unter der Anwendung von KHK ebenfalls erhöht ist. Die Datenlage lässt derzeit jedoch zumeist keine Rückschlüsse auf Unterschiede im ATE-Risiko der einzelnen KHKs zu.
Schulungsmaterial: Checkliste & Informationskarte
Die aktuelle Checkliste für die Verschreibung von KHK sowie die Informationskarte für die Patientin sind beigefügt. Beide Dokumente sind für alle KHK mit noch unbekanntem oder einem höheren VTE-Risiko verpflichtender Teil der Zulassung. Sie sind auch auf der Internetseite des BfArM abrufbar und können in gedruckter Form bei den Zulassungsinhabern der entsprechenden Arzneimittel angefordert werden. Die Behörde bittet darum, allen Patientinnen die Informationskarte auszuhändigen.
Aufforderung zur Meldung von Nebenwirkungen
Die Meldung des Verdachts auf Nebenwirkungen nach der Zulassung ist von großer Wichtigkeit. Sie ermöglicht eine kontinuierliche Überwachung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Arzneimittels. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung an den Hersteller, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder die entsprechende Arzneimittelkommission zu melden. Die Kontaktdaten können Sie dem beigefügten Rote-Hand-Brief entnehmen.