
Hintergrund
Die humanen Immundefizienz-Viren (HIV) gehören zu den sogenannten Retroviren. HIV wird über infektiöse Körperflüssigkeiten wie beispielsweise Blut, Sperma oder Vaginalsekret übertragen. Das Virus dringt insbesondere in menschliche Immunzellen (CD4+ T-Zellen, Makrophagen) ein und führt zu deren Zerstörung. Ohne Therapie kommt es daher zu einer generalisierten Immunschwäche. Es sind zwei HIV-Typen bekannt, das HIV-1 und HIV-2. Rukobia ist ein Arzneimittel, das gegen HIV-1 wirksam ist und die vorhandenen antiretroviralen Therapieoptionen ergänzt.
Was ist Rukobia und wofür wird es angewendet?
Rukobia ist ein Arzneimittel zur Behandlung von Erwachsenen, die mit dem Humanen Immundefienz- Virus Typ 1 (HIV-1) infiziert sind. Das Arzneimittel wird beim multiresistenten HIV-1 angewendet, wenn die Standardkombinationen nicht mehr ausreichend wirksam sind.
Wie wird Rukobia angewendet?
Rokobia steht in Form von Tabletten mit verlängerter Wirkstofffreisetzung zur Verfügung. Das Arzneimittel wird unabhängig von den Mahlzeiten unzerkaut mit Wasser eingenommen.
Dosierung
Eine Tablette enthält 600 mg des Wirkstoffs Fostemsavir. Es wird zweimal täglich je eine Tablette des Arzneimittels eingenommen.
Wie wirkt Rukobia?
Rukobia enthält den Wirkstoff Fostemsavir, ein Prodrug ohne antivirale Aktivität, das zum aktiven Metaboliten Temsavir hydrolysiert wird. Temsavir ist ein sogenannter Entry-Inhibitor. Der Wirkstoff blockiert die gp120-Untereinheit des HI-Virus, ein Oberflächenprotein, dass durch Bindung an den CD4-Rezeptor auf Blutzellen (insbesondere CD4+ T-Zellen sowie Makrophagen) am Eindringen des Virus in die Wirtszellen beteiligt ist. Durch die Bindung von Temsavir an gp120 wird die Interaktion zwischen HIV-1 und dem zellulären CD4-Rezeptor inhibiert, sodass das Virus nicht mehr in die Zellen gelangen kann.
Gegenanzeigen
Die Einnahme von Rukobia ist in den folgenden Fällen kontraindiziert.
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen anderen enthaltenen Bestandteil
- Gleichzeitige Behandlung mit starken CYP3A4-Induktoren wie beispielsweise Carbamazepin, Phenytoin, Mitotan, Enzalutamid, Rifampicin und Johanniskraut
Nebenwirkungen
Bei der Anwendung von Rukobia können die folgenden Nebenwirkungen sehr häufig (≥1/10) bis häufig (≥1/100 bis <1/10) auftreten.
- Kopfschmerzen
- Diarrhoe, Abdominalschmerzen, Übelkeit und Erbrechen
- Hautausschlag
- Immunrekonstitutions-Inflammationssyndrom
- Schlaflosigkeit, Schwindel, Somnolenz, Geschmacksstörungen
- QT-Zeit-Verlängerung
- Dyspepsie, Flatulenz
- Erhöhte Transaminase-Werte; erhöhte Kreatinin- und Kreatinphosphokinase-Werte im Blut
- Pruritus
- Myalgie
- Fatigue
Wechselwirkungen
Die folgenden Wechselwirkungen sind bei der Anwendung von Rukobia zu beachten.
- Der aktive Metabolit Temsavir ist ein Substrat der Effluxtransporter P-Glykoprotein (P-gp) und Breast Cancer Resistance Protein (BCRP). Daher kann bei gleichzeitiger Anwendung starker BCRP- und P-gp-Inhibitoren wie Clarithromycin und Azol-Antimykotika eine Dosisanpassung von Rukobia nötig werden.
- Temsavir wird über CYP3A4 metabolisiert, daher können CYP3A4-Induktoren wie Rifampicin die Plasmakonzentrationen des HIV-Therapeutikums deutlich senken
- Temsavir hemmt die Transportproteine OATP1B1 und OATP1B3 sowie BCRP. Es können daher Dosisanpassungen bei gleichzeitiger Anwendung von Substraten dieser Transporter wie bestimmten Statinen, Tenofovir und Grazoprevir nötig werden.
- Ethinylestradiol: maximal 30 µg täglich, besondere Vorsicht bei Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse
- Es liegen derzeit keine Daten über das Potenzial für eine pharmakodynamische Wechselwirkung zwischen Rukobia und anderen QT-Zeit-verlängernden Arzneimitteln vor. Basierend auf einer Studie an gesunden Probanden, in der eine supratherapeutische Dosis von Fostemsavir die QT-Zeit verlängerte, sollte Rukobia nur unter großer Vorsicht in Kombination mit Arzneimitteln, die ein bekanntes Risiko für Torsade-de-Pointes aufweisen angewendet werden.
Studienlage
Die Zulassung von Rukobia erfolgte auf Basis der BRIGHTE-Studie (NCT02362503), einer randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden Phase-III-Studie. Es wurden 371 Patienten mit einer HIV-1-Infektion eingeschlossen, die bereits mehrere antiretrovirale Therapieregimes durchlaufen und nur begrenzte Behandlungsmöglichkeiten hatten.
Methoden
Die Patienten wurden je nach verbleibenden Behandlungsoptionen in zwei Kohorten (mindestens eine bis maximal zwei verbleibende voll aktive zugelassene antiretrovirale Therapie vs. keine weiteren Optionen) aufgeteilt.
In der ersten Kohorte wurden die Patienten (n=272) im Verhältnis 3:1 in zwei Gruppen randomisiert. Diese erhielten dabei zu der aktuell versagenden Therapie entweder 600 mg Fostemsavir zweimal täglich oder Placebo über acht Tage. Es folgte eine offene Fostemsavir- inklusive einer optimierten Hintergrundtherapie (randomisierte Kohorte).
In der zweiten Kohorte (n=99) erhielten die Patienten ohne weitere antiretrovirale Therapieoption offen eine Fostemsavir- inklusive einer optimierten Hintergrundtherapie (nicht-randomisierte Kohorte).
Primärer Endpunkt war die mittlere Verlängerung des HIV-1-RNA-Spiegels von Tag 1 bis 8 in der randomisierten Kohorte. Sekundärer Endpunkt war unter anderem das Ansprechen (HIV-1-RNA-Spiegel <40 Kopien pro Milliliter) der Patienten auf die Therapie in den Wochen 24, 48 und 96.
Ergebnisse
An Tag 8 betrug die mittlere Abnahme des HIV-1-RNA-Spiegels 0,79 ±0,05 log10 Kopien pro Milliliter in der Fostemsavir-Gruppe und 0,17±0,08 log10 Kopien in der Placebo-Gruppe (Unterschied -0,63 log10 Kopien pro Milliliter, 95%-Konfidenzintervall [KI]: -081 bis -0,44; p<0,001).
Das virologische Ansprechen lag in Woche 24 bei 53% und in Woche 48 bei 54% der Patienten in der randomisierten Kohorte und bei 37% bzw. 38% der Patienten in der nicht-randomisierten Kohorte. Bei Patienten, deren initial optimierte Hintergrundtherapie ein voll aktives antiretrovirales Medikament enthielt, wurde in Woche 48 ein höheres Therapieansprechen festgestellt (56%). In Woche 96 lag das virologische Ansprechen bei je 60% in der randomisierten und 37% in der nicht-randomisierten Kohorte.
Unerwünschte Ereignisse führten bei 7% der Patienten zum Absetzen von Fostemsavir. In der randomisierten Kohorte wurden gp120-Substitutionen bei 20 von 47 Patienten (43%) mit virologischem Versagen gefunden.