Estrogene gehören wie die Gestagene zu den weiblichen Sexualhormonen. Ihre zyklusabhängige Biosynthese erfolgt in den Ovarien. Im Gegensatz zu natürlichen Estrogenen, die bei oraler Gabe durch den First-pass-Effekt in der Leber inaktiviert werden, sind synthetische Estrogene aufgrund ihrer Molekularstruktur auch bei oraler Gabe wirksam.
Hypoplasie des Uterus und dessen Folgeerscheinungen, wie z. B. Dysmenorrhö
Östrogenmangel infolge Ovarialinsuffizienz nach Ovarektomie, Röntgenkastration
im Klimakterium und bei postmenopausalen Beschwerden
bei primärer und sekundärer Amenorrhö zyklusgerecht angewandt und in Kombination mit Gestagenen
zur Laktationshemmung und -unterdrückung
Wirkmechanismus
Estrogene sind Wachstumshormone, die vorwiegend auf die Geschlechtsorgane, aber auch auf andere Organe einwirken. Am biologischsten aktivsten ist das in den Follikelepithelzellen produzierte Estradiol. Die Wirkung der Estrogene beruht auf ihrer Bindung intrazellulärer Estrogenrezeptoren (ERα, ERβ), die ligandenaktivierte Transkriptionsfaktoren darstellen. ERα befindet sich hauptsächlich im Uterus, den Ovarien, Brustdrüsen und dem Hypothalamus, während ERβ vor allem im Ovar, Knochen, Lunge, Prostata, Gefäßen und im Hippocampus vorliegt.
Kommt es zu einer Bindung zwischen Estrogenen und Estrogenrezeptoren, werden zunächst die Hitzeschockprotine, welche die Rezeptoren im inaktiven Zustand stabilisieren entfernt und die nun aktivierten Estrogenrezeptoren binden als Dimere an Estrogen-Response-Elemente (ERE). Diese befinden sich in den Promotorabschnitten der Zielgene und interagieren mit Koaktivatoren bzw. Korepressoren, wodurch die Expression der Zielgene beeinflusst wird. Je nach Ausstattung der Zelle mit Koaktivatoren oder Korepressoren sowie den jeweiligen Rezeptorsubtypen (ERα, ERβ) und der Rezeptor-Affinität des jeweiligen Liganden führt die Bindung zu einer verstärkten oder einer reduzierten Expression.
Wirkungen
Estrogene fördern das Wachstum der weiblichen Sexualorgane und prägen die sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale. Sie vergrößern aber auch die subkutanen Fettdepots. Estrogene erhöhen die Zahl der Progesteronrezeptoren und ermöglichen so die Wirkung der Gestagene.
Neben diesen zyklischen Veränderungen beeinflussen Sie auch die Viskosität des Zervixsekrets. Durch Estrogene werden die Plasmaproteinsynthese in der Leber, die Calciumabsorption im Darm und der Calciumeinbau im Knochen positiv beeinflusst und gefördert. Sie sind auch am Epiphysenschluss in der Pubertät beteiligt. Estrogene hemmen die Proliferation von Sebozyten, was zur Abnahme der Talgproduktion führt.
Durch Estrogene wird der periphere Gefäßwiderstand durch erhöhte Stickstoffmonoxid-Bildung gesenkt. In höheren Dosen führen Estrogene zu einer Natrium- und Wasserretention. Sie steigern die Bildung von Serotoninrezeptoren und wirken stimmungsaufhellend.
Da Estrogene die Synthese von Transportproteinen, wie Globulin und Transcortin, fördern, werden Androgene und Glukokortikoide stärker gebunden und sind weniger wirksam. Estrogene führen im Leberstoffwechsel zu einer vermehrten Bildung von HDL und Abnahme von LDL. Die Synthese von Blutgerinnungsfaktoren wird bei gleichzeitiger Abnahme gerinnungshemmender Eiweiße verstärkt. Dadurch fördert Estrogen die Blutgerinnung, vor allem in höheren Dosen.
Wirkung von Depot- und oral wirksamen Estrogenen
Da Estrogene parenteral nur eine kurze Wirkdauer bzw. eine geringe Wirksamkeit besitzen, wurden Estrogenderivate entwickelt, die länger bzw. oral besser wirksam sind. Estradiolvalerat besitzt eine längere Wirksamkeit und kann deshalb parenteral und oral verabreicht werden. Allerdings weist es eine nur geringe Bioverfügbarkeit auf.
Ethinylestradiol wird in der Leber langsamer inaktiviert und ist deshalb oral gut wirksam. Es wird deshalb am häufigsten oral appliziert. Allerdings wird es nur vor der Menopause eingesetzt.
Hormonelle Kontrazeption
Die meisten Kontrazeptiva gehören zur Gruppe der Gestagen-Estrogen-Kombinationen. Mehr dazu finden Sie auch in der Wirkstoffgruppe Hormonelle Kontrazeptiva. Estradiol, Estradiolvalerat oder Ethinylestradiol werden in Kombination mit unterschiedlichen Gestagenen als orale aber auch vaginale Kontrazeptiva eingesetzt.
Menopause
Zur Behandlung klimakterische Ausfallerscheinungen werden Estrogene (Estradiol, Estradiolester und mitunter konjugierte Estrogene) mit einem 10-bis 14-tägigen Gestagenzusatz als Sequenztherapie oder aber als kontinuierliche Kombinationstherapie Estrogen/Gestagen oral oder transdermal eingesetzt. Für hysterektomierte Patientinnen ist eine Estrogentherapie ohne Gestagene kontraindiziert.
Nebenwirkungen
Bei der Anwendung von Estrogenen können folgende Nebenwirkungen auftreten:
Erhöhung des Thromboembolie-Risikos
Atrophie der Ovarien bei lang andauernder Estrogengabe durch Hemmunfg der Gonadotropinaussschüttung
Spannungsgefühle in den Brüsten
Gewichtszunahme
Übelkeit
Natriumretention und Ödembildung
Hyperpigmentierung
vermehrte Bildung von Endometriumkarzinomen bei alleiniger Gabe in der Postmenopause
Wechselwirkungen
Enzyminduktoren wie Barbiturate, Carbamazepin, Rifampicin oder Johanniskraut reduzieren die Estrogenwirkung. Darüber hinaus kann es bei gleichzeitiger Antidiabetika-Gabe zu einer Reduktion der Glukose-Toleranz kommen.
Kontraindikationen
Estrogene sind kontraindiziert bei:
Hormonabhängigen Uterus- und Mammatumoren
Schweren Leberfunktionsstörungen
Idiopathischem Schwangerschaftsikterus in der Anamnese
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