Das Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS) ist eine systemische Immunreaktion und zeigt sich vor allem als unerwünschte Arzneimittelwirkung beispielsweise von CAR-T-Zell-Therapien. Es treten unspezifische Symptome bis hin zu lebensbedrohlichen Organdysfunktionen auf.
Das Zytokinfreisetzungsyndrom (cytokine release syndrome, CRS) ist eine unerwünschte systemische Entzündungsreaktion. Im Rahmen bestimmter Erkrankungen oder als unerwünschte Arzneimittelwirkung werden Leukozyten übermäßig aktiviert, wodurch es zu einer massiven Zytokinfreisetzung und Schäden an verschiedenen Zielorganen kommt. Eine starke Ausprägung des CRS wird auch als Zytokinsturm bezeichnet.
Epidemiologie
Die Inzidenz des CRS bei Tumor-assoziierter Immuntherapie ist nach CAR-T-Zell-Therapien deutlich höher als nach konventionellen monoklonalen Antikörpern. Bei CAR-T-Zellen ist das Risiko zusätzlich abhängig von der Zielstruktur und der Art des CAR-Konstrukts.
Viele CRS-verursachende Arzneimittel zeigen einen Erstdosis-Effekt, sodass die ausgeprägtesten Symptome nur nach der ersten Gabe auftreten [6]. Das Risiko ist am höchsten in den ersten zwei Wochen nach der Infusion, aber CAR-T-Zellen können beispielsweise über ein Jahr im Blut zirkulieren, sodass es auch zu späten Reaktionen kommen kann [7].
Bei Kindern scheint das Risiko, ein CRS zu entwickeln, höher zu sein als bei Erwachsenen. Bei pädiatrischen Patienten mit ALL betrug in zwei Studien die Inzidenz für ein CRS nach Infusion von CD19-gerichteten CAR-T-Zellen 76-100% [8,9].
Ursachen
Das CRS wird vor allem von verschiedenen Arzneimitteln, aber auch im Rahmen von Immunreaktionen und Infektionskrankheiten ausgelöst.
Arzneimittel
Bei Auftreten in Zusammenhang mit intravenös verabreichten Arzneimitteln wird das CRS zu den infusionsbedingten Reaktionen (infusion-related reactions, IRR) gezählt. Aktuell liegt der Fokus insbesondere auf CAR-T-Zell-Therapien (Chimerischer-Antigenrezeptor-T-Zell-Therapie) als Auslöser für ein CRS. Das Krankheitsbild wurde als Reaktion auf eine Therapie mit monoklonalem Anti-CD3-Antikörper erstbeschrieben [1].
Außerdem können Fusionsproteine, Immunmodulatoren (z. B. Lenalidomid) und Enzymersatztherapien (z. B. Alglucosidase alfa) ursächlich für das CRS sein.
Immunreaktionen
Das CRS kann im Rahmen von anderen systemischen Immunreaktionen auftreten. Dazu gehören das System-inflammatorische Antwortsyndrom (systemic inflammatory response syndrome, SIRS), die Graft-versus-Host-Erkrankung (graft-versus-host-disease, GvHD) und das Akute Atemnotsyndrom (acute respiratory distress syndrome, ARDS).
Der Pathomechanismus des CRS ist bis heute nicht vollständig geklärt, feststeht, dass es zu einer übermäßigen Aktivierung von T-Zellen, B-Zellen, NK-Zellen, Makrophagen, dendritischen Zellen und Monozyten kommt. Dadurch werden große Mengen proinflammatorischer Zytokine wie Interleukin-6, Tumornekrosefaktor α (TNFα) und Interferon-γ (IFNγ) freigesetzt.
Im Fall der CAR-T-Zell-Therapie als Ursache für das CRS kommt es durch Interaktion des CAR-Rezeptors mit dem Zielantigen zur Aktivierung von T-Zellen. Sie schütten IFNγ, Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierenden Faktor (GM-CSF), TNF und lösliche inflammatorische Mediatoren wie Katecholamine aus. In der Folge werden auch Bystander-Zellen (z.B. Endothelzellen, Monozyten oder Makrophagen) aktiviert, die weitere inflammatorische Mediatoren wie Interleukin-6, Interleukin-1 und Stickoxid freisetzen.
Die Zytokine sind für die systemische Auswirkung des CRS verantwortlich, sie führen unter anderem zu endothelialer Dysfunktion, erhöhter vaskulärer Permeabilität und Hypotension. Es wird angenommen, dass lokal produzierte Chemokine zirkulierende Monozyten anziehen, wodurch aktivierte Monozyten akkumulieren und die Zytokinausschüttung amplifiziert wird [10,11].
Symptome
Das CRS beginnt üblicherweise mit Fieber, das sehr hoch werden und mehrere Tage andauern kann. Hinzu kommen allgemeine Symptome wie Fatigue, Appetitlosigkeit, Myalgien, Arthralgien, Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen [12].
In schweren Fällen zeigt das CRS weitere Zeichen einer systemischen Immunreaktion, wie zum Beispiel Hypotension mit Minderdurchblutung der Extremitäten und Hypoxie. Durch ein Kapillarlecksyndrom können Ödeme innerer Organe auftreten. Als Folge kann es zu sekundären Organdysfunktionen kommen, welche aber auch direkter Effekt der Zytokinfreisetzung sein können. Dies kann das Herz, die Lungen, die Leber, die Niere, den Gastrointestinaltrakt das muskuloskelettale, hämatologische oder Nervensystem betreffen [14].
Komplikationen
Potenziell lebensbedrohliche Komplikationen sind Organversagen von Herz, Lunge, Niere und Leber. Auch kann es zur disseminierten intravasalen Gerinnung (disseminated intravascular coagulation, DIC) kommen. Zusätzlich sind die Patienten nach eingeleiteter immunsupprimierender Therapie eines CRS besonders infektionsgefährdet.
Das CRS kann als initiierender Faktor zu einem Immuneffektorzell-assoziierten Neurotoxizitätssyndrom (immune effector cell-associated neurotoxicity syndrome, ICANS) führen. Es manifestiert sich als toxische Enzephalopathie und initial kommt es zu Wortfindungsstörungen, Verwirrtheit, Dysphasie, Aphasie, gestörte Feinmotorik und Somnolenz [15]. In schwerwiegenderen Fällen werden Krampfanfälle, motorische Schwäche, Hirnödeme und Koma beobachtet. Das ICANS kann parallel zu oder nach dem CRS auftreten, in den meisten Fällen sind die neurologischen Defizite reversibel.
Diagnostik
Die Diagnose CRS wird vor allem klinisch gestellt, da es labordiagnostisch und bildgebend keine spezifischen Hinweise gibt. Das weitere Prozedere ist abhängig von der Klassifikation je nach Schweregrad des CRS.
Klassifikation
Das CRS kann in fünf Schweregrade eingeteilt werden [13]:
Vitalzeichen
CRS Grad 1
CRS Grad 2
CRS Grad 3
CRS Grad 4
Körpertemperatur (°C)
>38°C**
>38°C**
>38°C**
>38°C**
Hypotonie
Keine
Ohne Vasopressor-Bedarf
Mit Bedarf an einem Vasopressor ± Vasopressin
Mit Bedarf an mehreren Vasopressoren (außer Vasopressin)
Hypoxie
Keine
Mäßiger Sauerstoffbedarf (≤6 L/min über Nasenbrille)
Hoher Sauerstoffbedarf (>6 L/min über Nasenbrille, Rückhaltemaske, keine Beatmung mit positivem Atemwegsdruck (positive airway pressure [PAP]) nötig
PAP-Bedarf/ Intubations-notwendigkeit
Grad 5: CRS verläuft letal.
Differentialdiagnostik
Als Differentialdiagnose kommt das Tumorlyse-Syndrom in Betracht. Durch charakteristische Laborergebnisse wie Hyperurikämie, Hyperkaliämie, Hyperphosphatämie und Hypokalzämie kann es vom CRS unterschieden werden [16].
Außerdem kann die Abgrenzung von einem CRS und einer Sepsis durch ähnliche klinische Präsentation erschwert sein [17].
Therapie
Bei milden Verläufen ist eine symptomatische Therapie mit Volumengabe, Antipyretika sowie ggf. Analgetika indiziert, bei hoher Infektgefährdung wird eine Breitbandantibiose eingeleitet. Stärkere Reaktionen erfordern die Gabe von Sauerstoff und Katecholaminen sowie evtl. Glukokortikoiden [9].
Ein moderates bis schweres CRS wird zusätzlich spezifisch medikamentös behandelt. Der monoklonale Interleukin-6-Rezeptor AntikörperTocilizumab führt zu klinischer Besserung und ist seit 2017 für die Behandlung des CRS zugelassen [18,19].
Neue therapeutische Interventionen, die direkt auf weitere proinflammatorische Zytokine abzielen, könnten zukünftig relevant für die Behandlung des CRS werden. Zu den Targets gehören IL-1 (IL-1-Rezeptor-Antagonist Anakinra), TNF-α (Adalimumab oder Etanercept) und GM-CSF (Lenzilumab). Metyrosin inhibiert die Katecholamin-Synthese und kann dadurch auch zu einer Besserung des CRS führen.
Im Fall einer CAR-T-Zell-Therapie als Auslöser kann der Einsatz von Kinase-Inhibitoren wie Dasatinib erwogen werden, weil diese die Funktionalität der CAR-T-Zellen reduzieren [24]. Außerdem wurden Tyrosinkinasehemmer wie Ruxolitinib und Ibrutinib, welche die Zytokin-Signalübertragung und -Produktion in mehreren Zellarten inhibieren, für die Behandlung des CRS vorgeschlagen.
Prognose
Wenn die Symptome und Zeichen eines CRS frühzeitig erkannt und behandelt werden, lassen sich Organdysfunktionen und langfristige Schäden verhindern. Bei der CAR-T-Zell-Therapie ist das Auftreten, das Ausmaß und die Dauer eines CRS von Faktoren wie der Tumorzelllast, inflammatorischen Ausgangswerten und der Intensität der konditionierenden adjuvanten Therapie abhängig [25–27].
Prophylaxe
Die Wahrscheinlichkeit eines arzneimittelinduzierten CRS kann durch eine niedrigere Dosierung, eine geringere Infusionsgeschwindigkeit und eine Komedikation mit Glukokortikoiden gesenkt werden [28].
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