Was ist RoActemra und wofür wird es angewendet?
RoActemra mit dem Wirkstoff Tocilizumab ist das vierte in der EU zugelassene Medikament gegen COVID-19. Es gehört als monoklonaler Antikörper und Interleukin-6-Rezeptorantagonist zu den immunmodulierenden Arzneimitteln.
RoActemra ist indiziert zur Behandlung von Erwachsenen mit schwerem COVID-19-Verlauf, die eine systemische Behandlung mit Kortikosteroiden erhalten und zusätzlichen Sauerstoff oder eine mechanische Beatmung benötigen.
Das von Roche vertriebene Medikament ist in der EU bereits für die Behandlung von entzündlichen Erkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis, juvenilen idiopathischen Polyarthritis, Riesenzellarteriitis und dem Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS) zugelassen. Nachdem der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) seine Empfehlung zur Zulassung aussprach, wurde das Anwendungsgebiet umgehend auf die Behandlung einer SARS-CoV-2-Infektion erweitert.
In den Vereinigten Staaten wird Tocilizumab schon länger bei COVID-19 eingesetzt. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat dem IL-6-Inhibitor bereits am 24. Juni 2021 die Notfallzulassung erteilt. Im Juli empfahl auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tocilizumab und Sarilumab für die COVID-Behandlung. Im August 2021 startete schließlich die Europäische Arzneimittelagentur mit der Überprüfung der Studienergebnisse zu Tocilizumab. Am 06. Dezember 2021 sprach sich dann der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA für eine Zulassung aus. Diese wurde schon einen Tag später am 07. Dezember von der Europäischen Kommission formal bestätigt.
Wie wird RoActemra angewendet?
RoActemra wird als intravenöse Infusion in Komedikation mit Kortikosteroiden verabreicht.
Dosierung
Normalerweise ist eine einmalige Infusion vorgesehen. Diese kann nach klinischer Einzelfallentscheidung bei hoher entzündlicher Aktivität einmalig nach 12–24 Stunden wiederholt werden.
Wie wirkt RoActemra
Schwer und kritisch erkrankte Patienten mit COVID-19 leiden häufig an einer überschießenden Reaktion des Immunsystems und einem sogenannten Zytokinsturm. Tocilizumab, der Wirkstoff von RoActemra, blockiert als monoklonaler Antikörper Rezeptoren für den Entzündungsmediator Interleukin-6 (IL-6) und verhindert so, dass IL-6-Zytokine an die Rezeptoren binden. Infolge wird eine überschießende Immunkaskade unterdrückt und eine schwere Entzündungsreaktion abgemildert.
Nebenwirkungen
Zu den sehr häufigen (≥ 1/10) und häufigen (≥ 1/100 bis < 1/10) Nebenwirkungen von RoActemra gehören:
- Infektionen des oberen Respirationstrakts
- Nasopharyngitis
- Husten, Dyspnoe
- Kopfschmerzen
- Hypertonie
- Überempfindlichkeitsreaktionen, peripheres Ödem,
- Konjunktivitis
- Zellulitis
- Pneumonie
- oraler Herpes simplex, Herpes zoster
- abdominale Schmerzen, Gastritis
- Übelkeit, Diarrhoe
- Exanthem, Pruritus, Urtikaria
- Kopfschmerzen, Schwindel
- Erhöhung der Lebertransaminasen und des Gesamtbilirubins
- Hypercholesterinämie
- Leukopenie, Neutropenie, Hypofibrinogenämie
- Gewichtszunahme
Die schwersten Nebenwirkungen sind ausgeprägte Infektionen, Komplikationen einer Divertikulitis und Überempfindlichkeitsreaktionen.
Gegenanzeigen
RoActemra darf nicht verabreicht werden bei bekannter Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen seiner sonstigen Bestandteile. Ferner darf das Arzneimittel nicht bei Patienten mit einer akuten schweren Infektion angewendet werden.
Wechselwirkungen
RoActemra sollte nicht gemeinsam mit Lebendimpfstoffen oder anderen biologischen Therapien wie TNF-Inhibitoren verabreicht werden.
Zytokine wie IL-6 können die Bildung der hepatischen Cytochrom-P450-Enzyme unterdrücken. Durch die Tocilizumab-induzierte Zytokinhemmung ist eine Normalisierung der Expression zu erwarten. Dies könnte individuelle Dosisanpassungen von CYP-System-abhängigen Arzneimitteln zur Folge haben. Dazu gehören Methylprednisolon, Dexamethason, Atorvastatin, Kalziumkanalblockern, Theophyllin, Warfarin, Phenprocoumon, Phenytoin, Ciclosporin oder Benzodiazepine.
Vorsichtsmaßnahmen
Während der Behandlung sollten die Patienten sorgfältig auf Infektionsanzeichen überwacht werden.
Vorsicht bei der Anwendung ist bei Patienten mit wiederkehrenden oder chronischen Infektionen und bei solchen, die durch andere Erkrankungen wie etwa Divertikulitis oder Diabetes verstärkt infektionsanfällig sind, geboten.
Studienlage
Die EU-Zulassung basiert auf Daten einer Hauptstudie mit 4.116 hospitalisierten sauerstoff- oder beatmungspflichtigen Erwachsenen mit schwerer COVID-19-Infektion. Alle Patienten wiesen hohe Werte an C-reaktivem Protein im Blut auf, was für eine schwere Entzündung spricht. Die Studienauswertung ergab ein verringertes Mortalitätsrisiko bei Patienten, die Tocilizumab zusätzlich als Infusion zur Standardbehandlung erhielten – verglichen mit der Kontrollgruppe, in der Patienten alleinig die Standardtherapie bekamen.
Ergebnisse
Insgesamt verstarben 31 Prozent (621 von 2.022) der mit RoActemra plus dem Standard-Therapieregime behandelten Patienten innerhalb von 28 Tagen. Im Kontrollarm (alleinige Standardbehandlung) lag der Wert mit 35 Prozent (729 von 2.094) darüber. Überdies konnten 57 Prozent der Patienten (1.150 von 2.022), denen Tocilizumab verabreicht wurde, das Krankenhaus innerhalb von 28 Tagen verlassen – mit dem Standardmanagement nur 50 Prozent (1.044 von 2.094).
Die EMA betont die Wichtigkeit einer Komedikation mit systemischen Kortikosteroiden. Wie die Studie zeigt, kann ein Anstieg der Sterblichkeit nicht ausgeschlossen werden, wenn Tocilizumab ohne diese Begleittherapie gegeben wird. Das Sicherheitsprofil von RoActemra bei Patienten, die bereits mit Kortikosteroiden behandelt wurden, sei jedoch günstig, so der CHMP.
Wirksamkeit bei Omikron wahrscheinlich
Gemäß einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa teilte Roche mit, dass nach Aussage der WHO IL-6-Inhibitoren wie RoActemra auch bei Patienten mit schwerem COVID infolge der neuen SARS-CoV-2-Variante Omikron (B.1.1.529) wirksam sein dürften.