
Neue Empfehlungen gibt es zum Beispiel bezüglich der Thromboseprophylaxe und Antikoagulation-Gabe, Beatmung und Lagerung sowie der Anwendung von monoklonalen Antikörpern und Januskinase (JAK)-Inhibitoren als neue medikamentöse Therapieoptionen.
Aufgrund neuer Erkenntnisse in der Behandlung von COVID-19-Patienten hat die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (GDIIN) zusammen mit weiteren Fachgesellschaften die S3-Leitlinie zur stationären Therapie von COVID-19-Erkrankten aktualisiert.
Die neuen Empfehlungen bzw. Statements umfassen folgende Themen:
- Allgemeines
- Beatmung
- Bauchlagerung (Prone position)
- Thromboseprophylaxe
- Antikoagulation
- Medikamentöse Therapie (SARS-CoV-2 spezifische monoklonale Antikörper, Kortikosteroide, Januskinase (JAK)-Inhibitoren, Tocilizumab, Anakinra, Remdesivir, Rekonvaleszenzplasma, Azithromycin, Ivermectin, Vitamin D3, und Colchicin)
- Palliative medikamentöse Behandlung
Allgemeine Informationen
Stand Oktober 2021 liegt das durchschnittliche Alter der Neuinfizierten bei 31 Jahren, die Hospitalisierungsquote bei 5 Prozent. Eine Hypoalbuminämie bei stationärer Aufnahme und ein Anstieg der alkalischen Phosphatase im Krankheitsverlauf gehen mit einer erhöhten Mortalität einher.
Bei einigen COVID-19-Patienten mit deliranten Symptomen wurden nach Beendigung der intensivmedizinischen Behandlung eine Anreicherung der Leptomeningen und eine frontale Hypoperfusion sowie kleine akute ischämische Infarkte im kranialen Magnetresonanztomogramm (MRT) beobachtet. Diese Patienten zeigten nach Entlassung oft ein Dysexekutivsyndrom.
Der Stellenwert eines Screenings auf venöse Thromboembolien (VTE) wurde noch nicht in größeren Studien untersucht. Metaanalysen zeigen allerdings eine über 3-fach erhöhte VTE-Rate bei COVID-19. Diese Information legt nahe, bei Verdacht auf tiefe Beinvenenthrombose und entsprechenden klinischen Auffälligkeiten oder Laborbefunden (zum Beispiel unerklärter Anstieg der D-Dimere) – insbesondere bei zusätzlichen Risikofaktoren wie Adipositas – die Indikation zur Kompressionsultraschalluntersuchung zu prüfen.
Beatmung und Bauchlagerung
Das Hauptziel der supportiven Therapie besteht in der Sicherstellung einer ausreichenden Oxygenierung. Wichtige Elemente in der Behandlung von hypoxämischen COVID-19-Patienten sind die nicht-invasive und invasive Beatmung sowie die High-Flow-Sauerstofftherapie.
Zur Optimierung der Sauerstoffversorgung wird die Bauchlagerung empfohlen. Bereits wache Patienten, die eine hochdosierte Sauerstofftherapie über eine Nasensonde erhalten oder nicht-invasiv beatmet werden, sollten vorzugsweise auf dem Bauch gelagert werden. Dies würde die Häufigkeit späterer Intubationen und mechanischer Beatmungen reduzieren, so DGIIN-Vorstandsmitglied und Leitlinienkoordinator Professor Dr. Stefan Kluge.
Thromboseprophylaxe
Thromboembolische Ereignisse sind eine häufige Komplikation bei COVID-19-Erkrankten. Sie betreffen vorwiegend das venöse, aber auch das arterielle Gefäßsystem. Daher sollen alle stationär behandelten Patienten zur VTE-Prophylaxe niedermolekulares Heparin (NMH) in einer für den Hochrisikobereich zugelassenen Dosierung erhalten, zum Beispiel Enoxaparin 4.000 IE, Dalteparin 5.000 IE, Tinzaparin 4.500 IE, Certoparin 3.000 IE, Nadroparin (< 70 kg pro Kilogramm 3.800 IE, > 70 kg pro Kilogramm 5.700 IE).
Antikoagulation
In der Frühphase kann bei hospitalisierten, nicht-intensivpflichtigen COVID-19-Patienten mit erhöhtem Thromboserisiko (zum Beispiel D-Dimere ≥ 2 mg/l) eine therapeutische Antikoagulation erwogen werden, vorausgesetzt sie weisen ein niedriges Blutungsrisiko auf.
Bei Intensivpatienten ohne Nachweis von Thrombosen oder Embolien sollte hingegen keine therapeutische Antikoagulation erfolgen. Hier steigt das Risiko schwerer Blutungskomplikationen deutlich an, so die Leitlinienexperten nach Auswertung der aktuellen Studienlage.
Spezifische medikamentöse COVID-19-Therapie
In der spezifischen medikamentösen COVID-19-Therapie gibt es folgende neue Empfehlungen:
SARS-CoV-2 neutralisierende monoklonale Antikörper
In der Frühphase einer COVID-19-Erkrankung, in der Patienten noch keine Antikörper ausgebildet haben bzw. noch keine humorale Immunantwort vorhanden ist, können SARS-CoV-2 neutralisierende monoklonale Antikörper (MAB) einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf und die Sterblichkeit haben. Die virusneutralisierenden MAB interagieren mit dem SARS-CoV-2-Spikeprotein und verhindern so den Viruseintritt in die Zelle. Deshalb empfiehlt die Leitlinie hospitalisierten COVID-19-Patienten mit noch fehlender Immunantwort und ohne Sauerstoffbedarf oder mit maximal Low-Flow-Sauerstoff eine Kombinationstherapie mit den SARS-CoV-2-spezifischen monoklonalen Antikörpern Casirivimab und Imdevimab.
Kortikosteroide
Bei COVID-19-Patienten mit Sauerstoff-Bedarf (Low-Flow, High-Flow, nicht-invasive Beatmung/CPAP, invasive Beatmung) soll eine Therapie mit systemischen Kortikosteroiden (6 mg Dexamethason p.o. oder i.v. über zehn Tage) erfolgen. Bei moderater COVID-19-Erkrankung (hospitalisiert ohne Notwendigkeit einer Sauerstoffgabe) besteht keine Indikation für den Einsatz systemischer Kortikosteroide.
Alle Patienten mit Low-Flow-Sauerstoff-Bedarf oder schwerem Erkrankungsverlauf sollen zudem Dexamethason erhalten.
JAK-Inhibitoren
Den Januskinase (JAK)-Inhibitoren Baricitinib, Tofacitinib und Ruxolitinib wird ein Überlebensvorteil bei günstigem Nebenwirkungsprofil bescheinigt, wenn diese bei hospitalisierten Patienten ohne Sauerstoffbedarf oder mit maximal Low-Flow-Sauerstoff eingesetzt werden. Die Anwendung bei Patienten mit COVID-19-Erkrankung ohne Sauerstoffbedarf oder mit Low-Flow-Sauerstoffbedarf wird unter Beachtung der Kontraindikationen empfohlen – allerdings nicht als Kombinationstherapie mit Tocilizumab.
Tocilizumab
Der klinische Nutzen einer Therapie mit dem IL-6-Antagonisten Tocilizumab ist nur bei Patienten mit Sauerstoffbedarf und rasch progredientem Krankheitsverlauf hin zum respiratorischen Versagen zu erwarten und wird auch nur bei dieser Patientenklientel von den Leitlinienexperten empfohlen. Bei COVID-19-Patienten ohne oder mit niedrigem Sauerstoffbedarf sowie bei bestehender invasiver Beatmung wird Tocilizumab hingegen nicht empfohlen.
Von einer gleichzeitigen Therapie mit JAK-Inhibitoren wird aus Sicherheitsbedenken dringend abgeraten.
Anakinra
In Anbetracht des unsicheren Nutzens bei potenziell schädlichen Wirkungen spricht sich das Leitliniengremium gegen den Einsatz von Anakinra bei hospitalisierten Patienten zur COVID-19-Behandlung aus.
Remdesivir
Der klinische Nutzen von Remdesivir bei Patienten mit Low-Flow- und High-Flow-Sauerstoff bis hin zur nicht-invasiven Beatmung bleibt auf Grundlage der vorliegenden Evidenz aus randomisiert kontrollierten Studien weiterhin unsicher. Bei COVID-19-Patienten ohne Sauerstoffbedarf oder mit invasiver Beatmung soll Remdesivir nicht zur Therapie angewendet werden.
Bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19-Pneumonie und erforderlicher Low-Flow/High-Flow-Sauerstofftherapie oder nicht-invasiver Beatmung sprechen die Leitlinienexperten weder eine Empfehlung für noch gegen eine Therapie mit Remdesivir aus.
Rekonvaleszentenplasma
Rekonvaleszentenplasma soll nicht bei hospitalisierten COVID-19-Patienten eingesetzt werden. Zu spezifischen Subgruppen lässt sich auf Basis der derzeitigen Evidenz keine Empfehlung ableiten.
Azithromycin
Azithromycin soll bei hospitalisierten Patienten nicht zur antiviralen Therapie bei COVID-19 verabreicht werden. Die Meta-Analyse ergab keine Vorteile hinsichtlich der relevanten Endpunkte wie 28-Tage-Sterblichkeit, klinische Verbesserung, Beatmungsstatus und Hospitalisierungsdauer. Dafür zeigte sich bei mit Azithromycin behandelten Patienten ein Trend zu mehr unerwünschten und schweren Nebenwirkungen.
Ivermectin
Aufgrund des unsicheren Nutzens bei potenziell toxischen Effekten und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln sowie der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung von Ivermectin soll der Wirkstoff aus der Gruppe der Avermectine nicht bei hospitalisierten Patienten zur COVID-19-Behandlung verabreicht werden.
Vitamin D3 und Colchicin
Vitamin D3 und Colchicin sollen bei hospitalisierten Patienten nicht zur COVID-19-Behandlung eingesetzt werden.
Hinweis: Mit Ausnahme von Remdesivir sind die in der Leitlinie empfohlenen Arzneimittel nicht zur Anwendung der COVID-19-Therapie zugelassen.
Palliative medikamentöse Therapie
Zur palliativen medikamentösen Symptombehandlung sollten Patienten mit COVID-19 bei den abgebildeten Symptomen folgende Präparate erhalten:
- Luftnot: Opioide
- Angst: Benzodiazepine
- Rasselatmung: Anticholinergika
- Delir: Neuroleptika