
Die neuen Arzneimittel dienen der Behandlung von über 60 Krankheiten sowie zur Prävention vier verschiedener Erkrankungen. Daneben haben 24 Präparate eine Zulassungserweiterung für ein neues Anwendungsgebiet erhalten. Adressiert wurden insbesondere Krebserkrankungen sowie COVID-19 und andere Infektionskrankheiten, Asthma, Migräne, atopische Dermatitis, aber auch seltene Erkrankungen. Von den Antibiotika habe sich die Pharmabranche hingegen abgewandt, erklärt Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa). So wurde 2022 nur ein neues Antibiotikum (Xerava) zugelassen, im Jahr zuvor waren es zwei.
Behandlung und Prävention von COVID-19
Auch im vergangenen Jahr beschäftigten die Corona-Pandemie und ihre Folgen das Gesundheitssystem stark. Zu Beginn wurden drei antivirale Medikamente gegen COVID-19 auf den Markt gebracht: Paxlovid (Nirmaltrelvir/Ritonavir) von Pfizer, Xevudy (Sotrovimab) von GSK und Evusheld (Tixagevimab/Cilagvimab) von AstraZeneca.
Zudem wurde der Markt der COVID-19-Impfstoffe um Nuvaxovid (Novavax), VidPrevtyn Beta (Sanofi Pasteur) und den COVID-19-Impfstoff Valneva (Valneva) erweitert. Hinzu kamen an die Omikron-Variante angepassten Versionen bereits zugelassener mRNA-Impfstoffe.
Nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom
Ein weiterer Schwerpunkt der Neueinführungen 2022 lag auf der häufigsten Form des Lungenkrebses, dem nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC). Die Therapie richtet sich unter anderem nach den vorhandenen Mutationen der Tumorzellen. Es wurden insgesamt vier Arzneimittel zur Behandlung eines NSCLC zugelassen (Incyte, Lumykras, Rybrevant, Tepmetko).
Da Rybrevant (Amivantamab) von Janssen-Cilag im AMNOG-Verfahren allerdings kein Zusatznutzen bescheinigt wurde, nahm der Hersteller das Präparat aus wirtschaftlichen Gründen wieder vom Markt. „Solche Rücknahmen müssen wir 2023 womöglich öfter erleben“, erklärt Steutel, „denn der Gesetzgeber hat die Vorgaben für das AMNOG-Verfahren zu Ungunsten der Patienten und Hersteller verschärft.“
Seltene Erkrankungen
Als seltene Erkrankungen (Orphan Diseases) werden Krankheiten bezeichnet, die EU-weit weniger als 5 von 10.000 Menschen betreffen. Mehr als ein Drittel, der 2022 neu auf den Markt eingeführten Medikamente, ist zur Behandlung einer seltenen Erkrankung indiziert. Beispiele stellen Zokinvy (Lonafarnib) beim sogenannten Hutchinson-Gilford Progeriesyndrom (vorzeitige Alterung) und Xenpozyme (Olipudase alfa) bei ASMD (angeborener Mangel an saurer Sphingomyelinase) dar.
Neuartige Therapien
Den sogenannten „Advanced Therapy Medicinal Products“ (ATMP) werden fünf neu eingeführte Arzneimittel zugerechnet: vier Gentherapien sowie ein biotechnologisch bearbeitetes Gewebeprodukt.
- Upstaza (Eladocagon Exuparvovex) bei AADC-Mangel (Aromatische-L-Aminosäuren-Decarboxlase)
- Abecma (Idecabtagen Vicleucel) bei Multiplen Myelom
- Breyanzi (Lisocabtagen Maraleucel) bei verschiedenen Lymphomen (DLBCL, PMBCL, follikuläres Lymphom Grad 3B)
- Roctavian (Valoctocogen Roxaparvovec) bei Hämophilie A
- Spherox (Sphäoride aus Chondrozyten) bei Gelenkknorpeldefekten der Femurkondyle und der Patella des Knies
Ausblick 2023
Für das Jahr 2023 prognostiziert der vfa auf der Grundlage von beantragten und kürzlich erteilten EU-Zulassungen die Neueinführung von über 45 neuen Arzneimitteln. Der Schwerpunkt werde auch in diesem Jahr auf Medikamenten zur Behandlung von Krebserkrankungen und Infektionskrankheiten liegen.
Zu den Krebstherapeutika zählen beispielsweise einige Kinasehemmer sowie bifunktionale Antikörper. Des Weiteren sind Arzneimittel zum Schutz vor dem derzeit verstärkt auftretenden Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) für Ältere und alle pädiatrischen Altersklassen in der Pipeline. Hinzu kommen Impfstoffe gegen Grippe und Dengue-Fieber, weitere Arzneimittel gegen COVID-19 sowie ein Präparat gegen HIV, das nur halbjährlich angewendet werden muss.
Aber auch Gentherapien und weitere Substanzen gegen seltene Erbkrankheiten, wie Hämophilie B oder Morbus Fabry, könnten auf den Markt eingeführt werden. Ebenfalls in der Pipeline stehen Medikamente gegen die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS).
Neue Hürden durch GKV-Finanzstabilisierungsgesetz
„Bislang konnten jedes Jahr fast alle neuen Medikamente zeitnah und auf Dauer in die deutsche Versorgung aufgenommen und damit Betroffenen zur Verfügung gestellt werden. Doch das im Januar in Kraft tretende GKV-Finanzstabilisierungsgesetz mit seinen weitgreifenden Rabattforderungen und Preisvorgaben erschwert das nun.“, erklärt Steutel. Es sei offen, welche Medikamente tatsächlich eingeführt werden und auch nach den Preisverhandlungen als Therapieoptionen verfügbar bleiben.