Morbus Addison

Morbus Addison ist eine primäre Nebennierenrindeninsuffizienz autoimmuner Genese. Hinweisgebende Symptome sind Müdigkeit, Schwäche, Leistungsdefizit und Hyperpigmentierung.

Nebenniere

Definition

Morbus Addison bzw. Addison-Krankheit (ICD-10 E27.1) ist eine primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (NNRI). Im Gegensatz zur sekundären Form mit hypophysärer Komponente und der tertiären Form mit hypothalamischer Beteiligung liegt der primären NNRI eine direkte autoimmun bedingte Nebennierenschädigung (Autoimmunadrenalitis) zugrunde. Infolge der Destruktion kommt es zu einer verminderten oder gänzlich fehlenden Synthese von Mineralokortikoiden (Aldosteron), Glukokortikoiden (Kortisol) und dem Androgen- und Östrogenvorläufersteroid Dehydroepiandrosteron (DHEA). Zusätzlich besteht ein Adrenalindefizit. Hinweisgebende Symptome sind ausgeprägte Schwäche, Müdigkeit, Hypotonie, Gewichtsverlust, Salzhunger und eine Hyperpigmentierung bzw. Bronzefärbung der Haut. Die Diagnosesicherung erfolgt mittels ACTH-Stimulationstest.

Therapeutische Maßnahmen erstrecken sich auf die Substitution der fehlenden adrenokortikalen Hormone. Eine gefürchtete Komplikation ist die sogenannte Addison-Krise. Hier führt ein Ungleichgewicht von Kortisolbedarf und -verfügbarkeit zu einer lebensbedrohlichen Situation mit Hypotonie (bis hin zum Kreislaufversagen), Nausea und Emesis, massiver Abgeschlagenheit, Hyponatriämie, Hypoglykämie und Hyperkaliämie. Jeder Addison-Patient sollte einen Notfallausweis und eine Notfallausrüstung mit sich führen.

Epidemiologie

Morbus Addison gehört zu den seltenen Erkrankungen. In den westlichen Gesellschaften wird die Prävalenz mit etwa 10–14 Fällen pro 100.000 Einwohner angegeben. Verglichen mit 4–7 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner in Europa nahm die Anzahl der gemeldeten Fälle in den letzten Jahrzehnten zu [2]. Dieser Trend scheint sich fortzusetzen. Gemäß einer Analyse der GKV-Datenbank der Techniker Krankenkasse (TK) stieg die Prävalenz in Deutschland von etwa 8,2 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2008 auf 8,7 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2012. Der Anstieg war insbesondere bei Frauen feststellbar. Nebennierenkrisen wurden mit einer Häufigkeit von 14–17/100 Patientenjahren dokumentiert [3].

Ursachen

In der westlichen Welt sind bis zu 90 Prozent der Nebennierenrindeninsuffizienzen auf eine Autoimmunadrenalitis (meist 21-Hydroxylase-Antikörper) zurückzuführen, der eigentlichen Addison-Krankheit [1]. In der Literatur wird die Bezeichnung Morbus Addison häufig für jede Form einer chronischen primären Nebennierenrindeninsuffizienz verwendet. Etwa 10 Prozent der primären NNRI sind Folge von Tuberkulose oder anderen Infektionskrankheiten (wie HIV/AIDS, Zytomegalie, Mykosen, Histoplasmose und Syphilis) sowie einer Infiltration bzw. Verdrängung des Nebennierenrindengewebes (unter anderem durch Metastasen, Hämochromatose, Histiozytose, Lymphom und Sarkoidose).

Zu den übrigen Ursachen der NNRI gehören die (bilaterale) Adrenalektomie (beispielsweise bei Cushing-Syndrom oder Nebennierentumoren), genetische Erkrankungen (wie kongenitale adrenale Hypo- oder Hyperplasie, Adrenoleukodystrophie und adrenogenitales Syndrom), Hämorrhagien (zum Beispiel Thrombozytopenie, Antikoagulanzientherapie, Waterhouse-Friderichsen-Syndrom, Antiphospholipidsyndrom und Lupus erythematodes). Weitere potenziell prädisponierende Faktoren sind Medikamente wie Mitotan, Aminoglutethimid, Etomidat, Ketoconazol und Rifampicin sowie Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) [4,5].

Morbus Addison kann als isolierte Zerstörung der Nebennierenrinde (40%) auftreten. Oft ist die die autoimmune Adrenalitis aber mit einem autoimmunen polyendokrinen Syndrom wie dem juvenilen polyglandulären Autoimmunsyndrom (PGS Typ I) beziehungsweise einem adulten polyglandulären Syndrom (PGS Typ II) assoziiert (60%) [1]. Am häufigsten ist das PGS II zu finden, bei dem neben der NNRI eine Autoimmunthyreoiditis, Diabetes mellitus Typ I, Vitiligo, eine primäre Gonadeninsuffizienz und/oder eine chronische atrophische Gastritis besteht. Der Erkrankungsgipfel liegt bei 35 bis 40 Lebensjahren [1].

Eine polygenetische Disposition führt in Kombination mit weiteren Auslösefaktoren zur Manifestation eines Autoimmunprozesses. Deutlich seltener tritt eine Autoimmunadrenalitis im Rahmen eines PGS I mit autoimmuner Polyendokrinopathie, Candidiasis, ektodermaler Dystrophie (APECED) und einer Genmutation auf. In dem Fall ist die Addison-Krankheit mit Hypoparathyreoidismus, Zahnschmelzhypoplasie, Nageldystrophie und einer chronischen mukokutanen Candidiasis assoziiert. Die juvenile Form manifestiert sich bereits im Kindesalter. Das PGS Typ 1 ist eine autosomal-rezessive Erkrankung, bei der eine Mutation im Autoimmune-regulator(AIRE)-Gen zugrunde liegt [1].

Insgesamt zeigen alle Formen der autoimmunen Adrenalitis eine gewisse Assoziation mit Genvarianten des Haupthistokompatibilitätskomplexes (etwa HLA-DR3) oder mit Regulatoren für die Immunselektion (wie CTLA-4) [4]. Dies unterstreicht die zentrale Rolle der T-Zellen und der zellulären Immunität in der Pathophysiologie der Addison-Krankheit.

Pathogenese

Basierend auf der Destruktion der Zonae glomerulosa, fasciculata und reticularis der Nebennierenrinde resultiert ein Mangel an Mineralokortikoiden (Aldosteron), Glukokortikoiden (Kortisol) und dem Androgen- und Östrogenvorläufersteroid Dehydroepiandrosteron (DHEA). Die Mineralokortikoid-Produktion wird überwiegend durch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) reguliert, wohingegen das hypophysäre Adrenocorticotropin (ACTH) die Glukokortikoid- und DHEA-Synthese stimuliert. Aus dem adrenokortikalen Glukokortikoid-Defizit ergibt sich eine verminderte Synthese von Adrenalin im Nebennierenmark, da hierfür eine hohe lokale Glukokortikoid-Konzentration erforderlich ist.

Mineralkortikoidmangel

Der Mangel an Mineralokortikoiden führt zu einer erhöhten Natrium- und verminderten Kaliumausscheidung, was eine Hyponatriämie und Hyperkaliämie bedingt – mit der Folge von Dehydratation, Plasmahypertonizität, Azidose, Hypotonie und schlimmstenfalls lebensbedrohlichem Kreislaufversagen.

Glukokortikoidmangel

Der Mangel an Glukokortikoiden verursacht neben einer Hypotonie eine erhöhte Insulinsensitivität sowie Störungen im Kohlenhydrat-, Lipid- und Proteinstoffwechsel – mit den Symptomen von Hypoglykämie und ausgeprägter Schwäche. Zur Anhebung der verminderten Kortisolkonzentration im Blut wird die hypophysäre Produktion von Pro-Opiomelanocortin (POMC) angeregt, welches zu ACTH, beta-Endorphin und beta-Lipotropin (β-LPH) abgebaut wird. Bei der Spaltung von ACTH fällt Melanozyten-stimulierendes Hormon (alpha- und beta-MSH) an, wodurch sich die typische Bronzefärbung der Haut erklärt.

Symptome

Die Symptomatik bei Morbus Addison ist wenig spezifisch, sodass die Diagnose häufig erst spät gestellt wird [1]. Zunächst bemerken die Patienten eine ausgeprägte körperliche Schwäche, starke Müdigkeit und nachlassende Leistungsfähigkeit. Diese können von weiteren Beschwerden wie Appetitmangel, Nausea, Emesis, Diarrhoe, Gewichtsverlust, Anorexie, abdominalen Schmerzen, Arthralgien und Myalgien begleitet werden. Bei Manifestation im Kindesalter deuten Gedeihstörungen auf eine Störung der Nebennierenrinde hin. Dehydratation, die Neigung zu Hypoglykämien und Hypotonie mit orthostatischer Dysregulation, Schwindel und Synkopen zählen zu den späten Symptomen der Addison-Krankheit. Das Mineralokortikoid-Defizit kann sich mit Salzhunger bemerkbar machen.

Kardinalsymptom der primären NNRI ist eine Hyperpigmentierung. Im Gegensatz zu normaler Sonnenbräune sind auch nicht sonnenexponierte Stellen wie die Innenseite der Hände (insbesondere die Handlinien), Hautfalten, Narben, Mamillen, Genitale und Schleimhäute betroffen. Vor der dermalen Manifestation findet sich oft eine intraorale Hyperpigmentierung. Prädilektionsstellen sind Zahnfleisch, Wangenschleimhaut, die lateralen Zungenränder und Lippen. Obschon die Hautverfärbung als spezifisches Markenzeichen von Morbus Addison gilt, kann diese nur bei etwa 50–75 Prozent der Patienten beobachtet werden [1]. Neben der Hyperpigmentierung bestehen häufig Vitiligo und Alopecia areata.

Bei Frauen verursacht der DHEA-Mangel weitere Symptome wie Verlust der Sekundärbehaarung, Menstruationsstörungen, verminderte Libido und trockene Haut sowie eine fehlende Pubarche bei Mädchen.

Addison-Krise

Die Addison-Krise stellt einen medizinischen Notfall dar, der umgehend einer notärztlichen und intensivmedizinischen Behandlung Bedarf. Die Patienten zeigen eine ausgeprägte Schwäche und abdominale Schmerzen (Pseudoperitonitis). Innerhalb kürzester Zeit entwickelt sich ein kardiovaskulärer Schock mit supraventrikulärer Tachykardie und Nierenversagen.

Ursache der krisenhaften Verschlechterung sind häufig akuter Stress (etwa Operationen, Infektionen, Trauma) und/oder eine unzureichende Substitutionstherapie nach erfolgter Addison-Diagnose. Mitunter offenbart sich eine Nebennierenrindeninsuffizienz auch erstmalig durch eine Addison-Krise.

Differenzialdiagnostik

Die unspezifischen Symptome wie Leistungsschwäche und Gewichtsabnahme können auf eine Reihe von Erkrankungen hindeuten, zum Beispiel:

  • Karzinome
  • Infektionskrankheiten, zum Beispiel HIV/Aids und Tuberkulose
  • Myasthenie
  • Polymyalgia rheumatica
  • Hyperthyreose, Thyreotoxikose
  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie Zöliakie oder Laktoseintoleranz
  • gastrointestinale Erkrankungen, unter anderem Malabsorption bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn
  • Diabetes mellitus
  • Essstörungen wie Anorexie oder Bulimie
  • chronischer Alkoholabusus oder Substanzmittelmissbrauch
  • psychische Erkrankungen

Bei einer Hyperpigmentierung ist differenzialdiagnostisch an folgende Erkrankungen/Situationen zu denken:

Diagnostik

Aufgrund der unspezifischen Symptomatik wird Morbus Addison häufig erst verzögert diagnostiziert. Bei den entsprechenden Beschwerden ist es wichtig, differenzialdiagnostisch an eine Nebennierenrindeninsuffizienz zu denken. Ergibt sich aus der Zusammenschau von Anamnese und Klinik der Verdacht, sollte dieser laborchemisch abgeklärt werden. Oft weisen bereits veränderte Serumelektrolyt-Konzentrationen auf eine NNRI hin, etwa niedrige Natriumwerte (< 135 mmol/l), hohe Kaliumspiegel (> 5 mmol/l), niedriges Plasmanatriumbikarbonat (15–20 mmol/l) und hohe Blut-Harnstoff-Stickstoff-Werte (> 7,1 mmol/l). Zusätzlich sollten die Basalwerte von Kortisol, ACTH und DHEAS bestimmt werden. Der Standardtest bei Verdacht auf Morbus Addison ist der ACTH-Stimulationstest. Zur Überprüfung eines Mineralokortikoid-Defizits kann die Bestimmung von Plasma-Renin und Aldosteron nützlich sein, wenn keine Hyperkaliämie vorliegt [1,5].

Basalwerte

Diagnostische Basalparameter sind die frühmorgendlichen Serum-Cortisol- und Plasma-ACTH-Konzentrationen. Bei Morbus Addison ist das Plasma-ACTH deutlich höher und das Serum-Kortisol niedriger als normal. Da Kortisol und ACTH in einer zirkadianen Rhythmik sezerniert werden und die Serumspiegel durch externe Faktoren wie Stress oder Schmerzen stark variieren können, reicht die Basalwert-Bestimmung häufig nicht aus, um eine verlässliche Diagnose zu stellen. Dennoch weist ein basaler morgendlicher Serum-Kortisolwert < 5 µg/dl (138 nmol/L) bei gleichzeitig erhöhtem Plasma-ACTH-Wert und erniedrigter DHEAS-Serumkonzentration auf das Vorliegen einer NNRI hin. Bei einem basalen Kortisolwert von > 20 µg/dl (> 550 nmol/l) ist von einer gesunden Nebennierenrindenfunktion auszugehen [1,4].

ACTH-Stimulationstest

Derzeitige Standarddiagnose in der Diagnostik von der Addison-Krankheit ist die dynamische Testung mit einem ACTH-Stimulationstest (auch als ACTH-Kurz-, Synacthen- oder Cosyntropin-Test bezeichnet). Hier wird die Serum-Kortisolkonzentration vor und nach der intravenösen Gabe einer supraphysiologischen Menge von 1–24 ACTH (in der Regel 250 µg Tetracosactid) bestimmt. Bei nicht eingeschränkter Nebennierenrindenfunktion steigt der Serum-Kortisolwert 30–60 Minuten nach der Applikation auf > 18 µg/dl (> 500 nmol/l) an; bei Patienten mit Morbus Addison bleibt der Anstieg aus. Erhöhte Plasma-ACTH-Spiegel bestätigen die AD-Diagnose. Der ACTH-Stimulationstest kann tageszeitlich unabhängig durchgeführt werden [1,4].

Zur weiterführenden Differenzierung zwischen primärer und sekundärer Nebennierenrindeninsuffizienz wird der basale Plasma-ACTH-Spiegel genutzt. Für eine primäre NNRI sprechen erhöhte Plasma-ACTH-Konzentrationen (in der Regel um mehr als das 2‑fache über der oberen Norm liegend). Bei sekundärer oder tertiärer NNRI sind die Werte erniedrigt oder im unteren Normalbereich [1,4].

Weitere Untersuchungen

Bei primärer Nebennierenrindeninsuffizienz besteht ein Mineralokortikoid-Defizit mit erniedrigten Serum-Aldosteronspiegeln bei gegenregulatorisch erhöhter Plasma-Reninkonzentration. Der Mangel an Mineralokortikoiden und Glukokortikoiden bewirkt häufig eine Hyponatriämie (in 70–80% der Fälle) und Hyperkaliämie mit metabolischer Azidose und zuweilen Hypoglykämien; seltener sind auch eine Hyperkalzämie, Eosinophilie und Lymphozytose zu beobachten. Gegen das Nebennierenrindengewebe gerichtet Autoantikörper, üblicherweise gegen die 21-Hydroxylase, finden sich bei der Erstdiagnose eines Morbus Addison in etwa 90 Prozent der Fälle [1].

Aufgrund des erhöhten Risikos weiterer Autoimmunopathien empfiehlt sich bei Patienten mit Morbus Addison die ergänzende Bestimmung von Thyreoidea-stimulierendem Hormon (TSH), Nüchternglukose, Blutbild und Leberwerten sowie die Evaluation der Gonadenfunktion. Bei entsprechender Symptomatik sollte an weitere Erkrankungen wie Zöliakie bzw. glutensensitive Enteropathie gedacht werden. Bei negativer Autoimmungenese ist eine infektiöse Adrenalitis auszuschließen, insbesondere die tuberkulöse Form [1].

Therapie

Patienten mit Morbus Addison bedürfen einer lebenslangen Steroidhormon-Substitution. Im Rahmen der Kortisontherapie wird das Glukokortikoid Hydrocortison bevorzugt, da es chemisch dem körpereigenen Kortisol entspricht. Die Dosis muss individuell angepasst werden. Klassische Hydrokortison-Tagesdosen liegen bei 15–25 mg [1,4]. Abhängig von der Komedikation, dem Stresslevel und dem individuellen Bedarf können niedrigere Dosen ausreichen oder höhere Dosen erforderlich sein. Die Tagesdosis wird auf zwei oder drei Einzeldosen aufgeteilt. Um die zirkadiane Rhythmik zu imitieren, sollten etwa 50–60 Prozent der Dosis morgens nach dem frühen Aufwachen eingenommen werden, beispielsweise nach dem Schema 10–5–5 oder 15–5–0 mg. Um Schlaflosigkeit und nächtliche Insulinresistenzen zu vermeiden, wird die letzte Dosis spätestens 4–6 Stunden vor dem Schlafengehen empfohlen [4].

Eine Alternative zu Hydrocortison sind 3–5 mg/d Prednisolon als Einzeldosis – etwa bei Patienten, die aufgrund besonderer individueller Umstände ein vereinfachtes Therapieschema benötigen [4]. Dabei ist zu beachten, dass Prednisolon im Vergleich zu Hydrokortison eine deutlich niedrigere mineralokortikoide Wirkung hat.

Dexamethason sollte aufgrund seiner unphysiologischen pharmakokinetischen Eigenschaften (lange Halbwertszeit) und der daraus resultierenden Risiken für unerwünschte metabolische Wirkungen wie Dyslipidämie, Hyperglykämie und Diabetes nicht verwendet werden. Bei Kindern wird für die Substitutionstherapie ausschließlich Hydrocortison empfohlen, da seine kurze Halbwertszeit die beste Kontrolle ermöglicht. Ebenso ist Hydrocortison das bevorzugte Mittel in der Schwangerschaft [4].

Neuere Hydrocortisonpräparate können das körpereigene Kortisolverhalten besser nachahmen und ermöglichen bereits nach einer einmaligen morgendlichen Einnahme ein konstanteres Wirkprofil im Tagesverlauf [6]. Plenadren®, ein Hydrocortisonpräparat mit dualer Wirkstofffreisetzung, kann den frühmorgendlichen Kortisolanstieg zwar nicht imitieren, aber verbessert möglicherweise die metabolische Situation und Lebensqualität [7]. Chronocort (Efmody®), ein Hydrocortisonpräparat mit veränderter Wirkstofffreisetzung, kann – abends und morgens eingenommen (sogenanntes toothbrush regimen) – das physiologische Kortisolprofil weitestgehend nachahmen. Bislang ist es nur für die Behandlung des adrenogenitalen Syndroms zugelassen, nicht jedoch für Morbus Addison [8].

Therapie-Kontrolle

Die Substitutionstherapie sollte regelmäßig – primär anhand klinischer Parameter wie Körpergewicht, Ödeme, Blutdruck, Cushing-artigen Veränderungen und Leistungsfähigkeit – überwacht werden [4]. Anzeichen einer Übersubstitution sind unter anderem Gewichtszunahme, gesteigerter Appetit und Schlafstörungen; auf eine Untersubstitution deuten Appetitlosigkeit, Leistungsabfall und Müdigkeit. Laborparameter haben nur einen geringen Aussagewert, da die physiologische Situation substitutionstherapeutisch nur unzureichend imitiert wird. So haben fast alle Addison-Patienten vor der morgendlichen Substitution erhöhte Plasma-ACTH-Konzentrationen; kurz nach der Glukokortikoid-Einnahme fallen die Spiegel dann rasch wieder ab. Viele Patienten leiden trotz etablierter Substitutionstherapie unter Leistungsdefiziten und Müdigkeit, obwohl keine Untersubstitution vorliegt. Auch hier wird eine Dosiserhöhung empfohlen. Diese muss im weiteren Verlauf engmaschig reevaluiert werden [1].

Komedikation

Die Dosis der Substitutionstherapie hängt entscheidend von der Komedikation ab – insbesondere von der Beeinflussung von Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4), dem Schlüsselenzym des Kortisolmetabolismus. Verschiedene Wirkstoffe und Lebensmittel, die ebenfalls mit CYP3A4 interagieren, können die Wirkung von Hydrokortison verstärken oder abschwächen. Verstärkend wirken beispielsweise Diltiazem, Fluoxetin, Ritonavir und Grapefruit; eine abschwächende Wirkung haben Barbiturate, Carbamazepin, Exenatid, Mitotan und Rifampicin, geringfügig auch Johanniskraut [1].

Bei Diabetes mellitus Typ 1 ist die kortisolassoziierte Beeinflussung des Glukosestoffwechsels zu berücksichtigen. Typisch sind veränderte Insulinsensitivitäten im Tagesverlauf, zudem ein ausgeprägterer Glukokortikoid-Mangel in der Nacht und ein deutlich verringerter Insulinbedarf bei körperlicher Aktivität [1].

Anpassung bei externen Einflüssen

Bei physiologischer Nebennierenfunktion steigt die Kortisolsekretion nach externen Einflüssen wie körperlicher Aktivität, starken psychischen Belastungen, entzündlichen Erkrankungen, Fieber oder Traumata rasch um ein Vielfaches an. Da dies bei Morbus Addison ausbleibt, muss die Substitutionsdosis in Krankheits- und Stresssituationen vorübergehend erhöht werden [1,4].

Bei Erbrechen, Diarrhoe oder hohem Fieber muss Hydrokortison parenteral substituiert werden. Nach gründlicher Einweisung sind die meisten Patienten in der Lage, ein Kortisonpräparat intramuskulär (i.m.) zu injizieren (zum Beispiel 100 mg Hydrokortison oder 50 mg Prednisolon). So können sie die Zeit bis zum Eintreffen professioneller medizinischer Hilfe überbrücken. Jede Selbstbehandlung im Rahmen einer Akutsituation erfordert eine notfallmäßige ärztliche Vorstellung [1].

Mineralokortikoidtherapie

Bei Mineralocorticoidmangel ist Fludrocortison (9α-Fluor-Kortisol) das Mittel der Wahl, um den Wasser- und Elektrolythaushalt zu stabilisieren. Die übliche Tagesdosis bei Morbus Addison beträgt 50-100 µg/d bzw. 0,05–0,1 mg; in der Regel als einmalige morgendliche Einnahme [1,4]. Die Überwachung und Steuerung der Mineralokortikoidsubstitution basiert hauptsächlich auf klinischen Parametern wie Salzhunger, Ödemen und Blutdruck in Kombination mit Laborparametern. Zielwerte sind normale Natrium- und Kaliumkonzentrationen im Serum bei normotensiven Blutdruckwerten ohne orthostatische Hypotonie, peripherer Ödemneigung oder Salzhunger. Der Plasma-Reninspiegel im oberen Referenzbereich gilt als hilfreicher Indikator für die Feinabstimmung [4].

Eine Anpassung der Mineralokortikoidsubstitution in Stresssituationen ist nicht erforderlich. Eine Dosiserhöhung kann jedoch bei heißen Außentemperaturen oder in der Schwangerschaft notwendig werden. Symptome wie Salzhunger und orthostatische Hypotonie sind klinische Hinweisgeber einer Untersubstitution, periphere Ödeme sprechen für eine Übersubstitution [1].

Dehydroepiandrosteron (DHEA)

Die klinische Relevanz des DHEA-Mangels ist bislang nur unvollständig verstanden. Androgene werden in der Nebennierenrinde und in den Gonaden sezerniert. Die Hauptandrogenquelle beim Mann sind die Hoden, bei Frauen stammt der überwiegende Teil aus der Nebennierenrinde. Deshalb spielt der DHEA-Mangel vor allem beim weiblichen Geschlecht eine Rolle. Eine DHEA-Substitution kann bei Frauen erwogen werden, die eine optimale Gluko- und Mineralokortikoidtherapie erhalten und dennoch unter Symptomen wie geringer Libido, Leistungsschwäche und depressiven Symptomen leiden (speziell Frauen in der Postmenopause oder bei primärer Ovarialinsuffizienz mit einem Verlust an ovariellen Androgenen) [1,4].

Meist reicht eine initiale morgendliche Einzeldosis von 25 mg DHEA aus. Bei Nebenwirkungen ist eine Reduktion (zum Beispiel auf 25 mg alle 2–3 Tage) erforderlich [1]. Die Substitutionstherapie richtet sich nach dem klinischen Bild (Zunahme des Hautfetts, Akne, Hirsutismus und Alopezie) sowie Laborparametern (DHEAS, Androstendion und freier Androgenindex). Da entsprechende Effekte häufig erst nach mehreren Monaten eintreten, wird eine Reevaluation nach etwa sechs Monaten empfohlen. Ein zugelassenes Arzneimittel für die DHEA-Substitution bei Addison-Patienten gibt es derzeit nicht, in der Regel werden die Kosten von der Krankenkasse auch nicht erstattet [1].

Experimentelle Ansätze

Neben der Substitutionstherapie gibt es weitere experimentelle Ansätze, die sich aber allesamt noch in einem frühen Entwicklungsstadium befinden – darunter die Immunsuppression bei Patienten mit frühen Formen der Autoimmunadrenalitis, die Gentherapie bei monogenen Formen der Addison-Krankheit, Transplantation und Zellersatz sowie Reprogrammierungstechniken zur Induktion eines steroidogenen Phänotyps aus Zellen unterschiedlichen Ursprungs [4].

Prognose

Morbus Addison ist eine kritische und potenziell lebensbedrohliche Krankheit. Dank moderner Therapie und umfassender Patientenaufklärung können Betroffene jedoch ein weitgehend normales Leben führen, obschon die selbst eingeschätzte Lebensqualität und allgemeine Leistungsfähigkeit geringer ist als in der Allgemeinbevölkerung – auch bei gut eingestellter Standardsubstitutionstherapie [9]. Ferner weisen Addison-Patienten eine höhere Inzidenz von affektiven Störungen wie Depressionen und Angstzuständen sowie eine höhere Odds-Ratio für Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus im Vergleich zu Kontrollpersonen auf. Dies spiegelt sich in häufigeren Krankenhausaufenthalten und wesentlich höheren Ausgaben für das Gesundheitswesen wider [10,11,12,13].

Überdies beeinflusst Morbus Addison das Berufsleben. Verglichen mit der Normalbevölkerung sind an Morbus Addison Erkrankte stärker in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt (11% vs. 30%) – insbesondere bei polyendokrinen/polyglandulären Autoimmunsyndromen [14].

Darüber hinaus wurde bei Patienten mit Morbus Addison eine erhöhte Mortalität dokumentiert; vor allem bergen akute Infektionen ein Risiko für tödliche Nebennierenkrisen [9,15,16,17]. Deshalb sollten adrenerge Akutzustände unbedingt vermieden werden. Derzeit liegt die jährliche Inzidenz einer Addison-Krise bei etwa 6–8/100 Patienten, die Mortalitätsrate wird mit 0,5/100 Patientenjahren angegeben [18,19]. Jeder Mensch mit Addison-Krankheit sollte einen Notfallausweis (idealerweise in Form einer standardisierten europäischen Notfallkarte) bei sich tragen und eine Notfallausrüstung mit sich führen [4].

Prophylaxe

Eine Vorbeugung von Morbus Addison ist nicht möglich.

Autor:
Stand:
21.06.2022
Quelle:
  1. Pulzer, A., Burger-Stritt, S., Hahner, S. (2016): Morbus Addison. Internist 2016 May; 57(5):457–69; DOI: 10.1007/s00108-016-0054-6.
  2. Erichsen, M. M. et al. (2009): Normal overall mortality rate in Addison’s disease, but young patients are at risk of premature death. Eur J Endocrinol. 2009 Feb; 160(2):233–7; DOI: 10.1530/EJE-08-0550.
  3. Meyer, G. et al. (2014): Increasing prevalence of Addison’s disease in German females: health insurance data 2008-2012. Eur J Endocrinol. 2014 Feb; 170(3):367–73; DOI: 10.1530/EJE-13-0756.
  4. Barthel, A. et al. (2019): An Update on Addison’s Disease. Exp Clin Endocrinol Diabetes. 2019 Feb; 127(2–03):165–75; DOI: 10.1055/a-0804-2715.
  5. Hahner, S., Bornstein, S.R. (2015): Primäre Nebennierenrinden-Insuffizienz (Morbus Addison). In: Lehnert, H. (Hrsg.): Rationelle Diagnostik und Therapie in Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel. Thieme; 2015; S. 262–8; DOI: 10.1055/b-0035-104733.
  6. Theiler-Schwetz, V. et al. (2022): Neue Hydrocortisonpräparate in der Therapie der Nebenniereninsuffizienz. J. Klin. Endokrinol. Stoffw. 2022 Feb; 15:33–5; DOI: 10.1007/s41969-022-00156-1.
  7. Europäische Arzneimittelagentur (EMA), Überblick: Plenadren; Stand 15. März 2022; abgerufen am 27. Mai 2022.
  8. Europäische Arzneimittelagentur (EMA), Überblick: Efmody; Stand 06. Juli 2021; abgerufen am 27. Mai 2022.
  9. Burger-Stritt, S., Pulzer, A., Hahner, S. (2016): Quality of life and life expectancy in patients with adrenal insufficiency: what is true and what is urban myth? Front Horm Res. 2016; 46:171–83; DOI: 10.1159/000443918.
  10. Ueland, G. A., Husebye, E. S. (2018): Metabolic Complications in Adrenal Insufficiency. Front Horm Res. 2018; 49:104–13; DOI: 10.1159/000486004
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