Proteasom-Inhibitoren

Proteasom-Inhibitoren sind antineoplastisch wirkende Substanzen, die zur Behandlung des Multiplen Myeloms sowie bei Mantelzell-Lymphom angewendet werden. Die Wirkstoffe hemmen den proteasomalen Abbau verschiedener Proteine und führen so zur Apoptose der Tumorzellen.

Proteasom-Inhibitoren

Anwendung

Proteasom-Inhibitoren (Bortezomib, Carfilzomib, Ixazomib) sind indiziert zur Behandlung des Multiplen Myeloms. Während Carfilzomib und Ixazomib nur in Kombination mit Standardtherapeutika bei Patienten mit mindestens einer vorangegangenen Therapie angewendet werden, wird Bortezomib sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit anderen Krebstherapeutika ebenso bei zuvor unbehandelten Patienten eingesetzt.

Bortezomib ist in Kombination mit Rituximab, Cyclophosphamid, Doxorubicin und Prednison bei erwachsenen Patienten mit bisher unbehandeltem Mantelzell-Lymphom indiziert, die für eine hämatopoetische Stammzelltransplantation nicht geeignet sind.

Art der Anwendung

Bortezomib und Carfilzomib werden parenteral appliziert. Ixazomib wird in Form des Citrates als Prodrug verabreicht und kann oral eingenommen werden.

Wirkung

Bei Bortezomib und Ixazomib handelt es sich um reversible Proteasom-Inhibitoren. Carfilzomib bindet irreversibel an aktive Zentren des proteolytischen Kernpartikels im Proteasom.

Proteasome sind intrazelluläre Multiproteasekomplexe, die am Abbau zahlreicher Proteine, wie zellzyklusrelevanten Proteinen (Cycline, Cyclin-abhängige Kinasen), Tumorsuppressoren, Transkriptionsfaktoren und der Topoisomerase I, beteiligt sind. Hierfür werden die Proteine zunächst Ubiquitin markiert, damit sie vom Proteasom erkannt werden. Der proteasomale Abbau ist essenziell für den Zyklus und das Überleben der Zellen. Die Hemmung der Proteasome führt demnach zu einer Vielzahl von Effekten.

Insbesondere Tumorzellen reagieren dabei empfindlicher als andere Zellen. Myelomzellen haben beispielsweise einen gesteigerten Proteinumsatz und daher eine höhere Apoptose-Wahrscheinlichkeit bei Proteasom-Hemmung.

Proteasom-Inhibitoren

Hemmung des NFκB-Signalwegs

Ein wichtiger Mechanismus ist die Inhibition des NFκB-Signalwegs. Durch einen erhöhten Ubiquitin-Abbau bleibt das Protein IκB intakt, das NFκB bindet und dadurch hemmt. Auf diese Weise kommt es zur Downregulation verschiedener NFκB-vermittelter Mechanismen, wie der Zellproliferation, Invasion, Metastasierung und Angiogenese.

Signalwege des programmierten Zelltods

Die Proteasom-Hemmung führt außerdem zur Aktivierung der c-Jun NH2-terminalen Kinase (JNK), die über verschiedene Caspasen zum programmierten Zelltod führt. Auch das Tumorsuppressorprotein p53 wird durch Proteasom-Inhibitoren (PI) aktiviert und führt über das proapoptotische NOXA sowie Caspasen letztendlich zur Apoptose. Das gilt auch bei Anwesenheit von p53-Mutanten. NOXA kann zudem unabhängig von p53 induziert werden. Auch weitere proapoptotische Proteine (z.B. Bim, Bid, Bik), die im Normalfall durch die Proteasomen reguliert werden, akkumulieren und induzieren den Zelltod.

ER-Stress

Die Hemmung der Multiproteasekomplexe führt zu einer gesteigerten Ansammlung defekter Proteine in der Zelle. Auch die Krebserkrankung selbst kann eine erhöhte Produktion von Proteinen verursachen. Proteine werden in der Regel im Endoplasmatischen Retikulum (ER) zusammengebaut und einer Qualitätskontrolle unterzogen, falsch gefaltete Proteine werden den Proteasomen zugeführt. Bei einer zu großen Proteinmenge gerät das ER unter Stress, der bei Proteasom-Hemmung durch die Ansammlung falsch gefalteter Proteine verstärkt wird. Dies löst die sogenannte UPR (Unfolded Protein Response) aus, die einerseits die Proteinsynthese reduziert und bei starkem ER-Stress auch Apoptose auslösen kann.

Nebenwirkungen

Zu den häufigsten Nebenwirkungen, die bei der Behandlung mit Proteasom-Inhibitoren auftreten können, zählen:

  • Gastrointestinale Beschwerden: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Obstipation
  • Blutbildveränderungen: Thrombozytopenie, Neutropenie, Anämie
  • Periphere Neuropathien
  • Herpes-zoster-Infektionen bzw. Reaktivierung
  • Atemwegsinfektionen, Bronchitis, Husten, Dyspnoe
  • Periphere Ödeme
  • Fieber
  • Müdigkeit, Fatigue
  • Hautausschlag

Zu den schwerwiegenden Nebenwirkungen zählen je nach Wirkstoff unter anderem kardiale Ereignisse, Tumor-Lyse-Syndrom, pulmonale Hypertonie, hämatopoetische Toxizität und Lungenerkrankungen.

Wechselwirkungen

Proteasom-Inhibitoren interagieren mit dem Cytochrom-P40-Enzymsystem. Daher sind potentielle Wechselwirkungen zu beachten.

  • Bortezomib ist ein schwacher Hemmstoff verschiedener CYP-Enzyme (CYP1A2, CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6, CYP3A4), weshalb Patienten, die gleichzeitig Hemmstoffe oder Induktoren dieser Enzyme anwenden, engmaschig überwacht werden sollten.
  • Ixazomib ist unter anderem ein Substrat von CYP3A4, daher wird die Anwendung mit Induktoren dieses Enzyms, wie Johanniskraut, Carbamazepin, Phenytoin und Rifampicin, nicht empfohlen.
  • Es ist nicht bekannt, ob Carfilzomib in therapeutischen Konzentrationen ein Induktor von CYP1A2, CYP2C8, CYP2C9, CYP2C19 und CYP2B6 ist. Daher ist bei der gleichzeitigen Anwendung von Substraten dieser Enzyme, wie oralen Kontrazeptiva, Vorsicht geboten.

Carfilzomib ist außerdem ein Substrat und Inhibitor des P-Glykoproteins (P-gp), weshalb bei der Anwendung mit anderen P-gp-Substraten, wie Digoxin und Colchicin, Vorsicht geboten ist.

Kontraindikation

Proteasom-Inhibitoren sind bei Überempfindlichkeit gegen den jeweiligen Wirkstoff kontraindiziert. Bei der Anwendung in Kombination mit anderen Arzneimitteln sind die entsprechenden Kontraindikationen dieser Substanzen ebenso zu beachten.

Bortezomib darf außerdem nicht angewendet werden bei akuter diffus infiltrativer pulmonaler und perikardialer Erkrankung.

Carfilzomib ist zusätzlich in der Stillzeit kontraindiziert.

Alternativen

Zur Behandlung des Multiplen Myeloms stehen die folgenden Therapieoptionen und Wirkstoffe anderer Substanzklassen zur Verfügung.

Das Mantelzell-Lymphom wird neben Bortezomib plus Rituximab, Cyclophosphamid, Doxorubicin und Prednison je nach Stadium und Alter der Patienten mit folgenden Substanzkombinationen therapiert.

Wirkstoffe

Hinweise

Unter der Behandlung mit Proteasom-Inhibitoren sollte in folgenden Fällen eine engmaschige Überwachung erfolgen.

  • Patienten mit Risikofaktoren für oder bestehenden Herzerkrankungen
  • Patienten mit Thrombose
  • Patienten mit einem Risiko für Krampfanfälle
  • Patienten mit einem erhöhten Risiko für ein Tumor-Lyse-Syndrom

Auch die folgenden Parameter sind sorgfältig zu überwachen.

  • Nierenfunktion
  • Leberfunktion/ Leberenzyme
  • Anzeichen für schwerer Neuropathien
  • Anzeichen für Ileus
  • Anzeichen für Lungenerkrankungen
  • Anzeichen für eine thrombotische Mikroangiopathie
  • Infusionsreaktionen (Bortezomib, Carfilzomib)

Bei Diabetikern kann es zu Hypo- und Hyperglykämien kommen. Daher ist eine vermehrte Kontrolle des Blutzuckerspiegels notwendig.

Hämatologische Toxizität

In Zusammenhang mit Proteasom-Inhibitoren tritt sehr häufig eine hämatologische Toxizität auf, insbesondere Thrombozytopenie. Daher sollten vor jeder Gabe der Wirkstoffe die Thrombozytenzahl kontrolliert und das Differentialblutbild währen der gesamten Behandlung engmaschig überwacht werden. Falls nötig kann eine Dosisanpassung oder Thrombozytentransfusion in Betracht gezogen werden.

Die Patienten sollten außerdem auf Anzeichen und Symptome einer Infektion überwacht und falls nötig sofort behandelt werden, da es unter Proteasom-Inhibitoren zu Neutropenien kommen kann. Eine Anwendung von Granulozyten-Kolonie-stimulierenden Faktoren kann in Betracht gezogen werden.

Infektionsreaktivierung

Es wird eine antivirale Prophylaxe zur Vermeidung einer Herpes-zoster-Virusreaktivierung empfohlen.

Zudem sollte ein Hepatitis B-Screening durchgeführt und eine antivirale Prophylaxe in Betracht gezogen werden.

Lungenerkrankungen

Es wurden selten akute infiltrative Lungenerkrankungen unbekannter Ätiologie wie Pneumonitis, interstitielle Pneumonie, Lungeninfiltration und Acute Respiratory Distress Syndrom (ARDS) berichtet, teilweise mit letalem Ausgang.

Die Anwendung von Proteasom-Inhibitoren ist beim Auftreten solcher Symptome zu unterbrechen. Vor Behandlungsbeginn wird ein Röntgenthorax empfohlen, um als Ausgangsbefund für mögliche pulmonale Veränderungen nach der Behandlung zu dienen.

Progressive multifokale Leukoenzephalopathie (PML)

Es wurden sehr seltenen Fälle von einer John Cunningham (JC) Virusinfektion, die zu einer progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML) und zum Tod führten, während oder bis 12 Monate nach einer Therapie mit Proteasom-Inhibitoren berichtet. Patienten sollen in regelmäßigen Abständen hinsichtlich jeglicher neuer oder sich verschlechternder neurologischer Symptome oder Anzeichen, die auf eine PML als Bestandteil der Differentialdiagnose von ZNS-Störungen hinweisen, überwacht werden. Bei Verdacht auf PML sind die Patienten an einen Spezialisten zu überweisen.

Posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom (PRES)

Es wurden Fälle von posteriorem reversiblem Enzephalopathiesyndrom (PRES) berichtet. Proteasom-Inhibitoren müssen abgesetzt werden, wenn ein PRES auftritt.

Leberfunktionsstörungen

Unter Proteasom-Inhibitoren können Leberfunktionsstörungen auftreten.

Die Exposition von Bortezomib ist bei Patienten mit mäßiger oder schwerer Leberfunktionsstörung erhöht. Daher ist eine Dosisreduktion von Bortezomib notwendig.

Herzinsuffizienz

Unter Carfilzomib kann sich eine Herzinsuffizienz verschlechtern oder auftreten, es kam zu myokardialer Ischämie und Infarkt. Daher sollte vor der Dosierung im ersten Behandlungszyklus auf eine ausreichende Hydration geachtet werden. Risikopatienten, wie ältere (≥75 Jahre) oder asiatische Patienten, sind auf eine Volumenüberbelastung zu überwachen. Vor Beginn der Behandlung wird eine sorgfältige Beurteilung der kardiovaskulären Risikofaktoren empfohlen.

Hautreaktionen

Bei mit Ixazomib behandelten Patienten wurden Ausschläge berichtet, die eine unterstützende Therapie bzw. eine Dosisanpassung notwendig machen können. Zudem sind Fälle Stevens-Johnson-Syndrom bekannt. Tritt dieses Syndrom auf, muss Ixazomib abgesetzt werden.

Kontrazeption

Die Anwendung von Proteasom-Inhibitoren wird aufgrund mangelnder Daten währen der Schwangerschaft und Stillzeit nicht empfohlen.

Gebärfähige weibliche und zeugungsfähige männliche Patienten müssen während und bis mehrere Wochen nach der Behandlung mit Proteasom-Inhibitoren eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden.

Da Carfilzomib das Risiko für venöse thromboembolische Ereignisse erhöhen kann, sollten Frauen im gebärfähigen Alter auf hormonelle Kontrazeptiva, die mit einem Thromboserisiko in Zusammenhang stehen, verzichten und stattdessen andere Verhütungsmethoden anwenden.

Bei der Kombinationstherapie mit Dexamethason, einem schwachen bis mäßigen CYP3A4-Induktor sowie Induktor anderer Enzyme und Transporter, muss das Risiko einer reduzierten Wirksamkeit von oralen Kontrazeptiva berücksichtigt werden. Frauen, die hormonelle Kontrazeptiva anwenden, sollten zusätzlich eine Barrieremethode zur Empfängnisverhütung anwenden.
Bei der Kombination mit Thalidomid-Analoga sollten aufgrund der teratogenen Eigenschaften der Substanzen die entsprechenden Maßnahmen zur Verhütung einer Schwangerschaft getroffen werden.

Autor:
Stand:
13.07.2022
Quelle:
  1. AWMF: S3-Leitlinie Multiples Myelom (2021)
  2. EMA: Fachinformation Velcade (zuletzt aufgerufen am 13.07.2022)
  3. EMA: Fachinformation Kyprolis (zuletzt aufgerufen am 13.07.2022)
  4. EMA: Fachinformation Ninlaro (zuletzt aufgerufen am 13.07.2022)
  5. Nunes AT, Annunziata CM. Proteasome inhibitors: structure and function. Semin Oncol. 2017 Dec;44(6):377-380. DOI: 10.1053/j.seminoncol.2018.01.004
  6. Onkopedia: Leitlinie Mantelzell-Lymphom (2021)
  7. Geisslinger, Menzel, Gundermann, Hinz, Ruth (2020) Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
  8. Steinhilber, Schubert-Zsilavecz, Roth (2010) Medizinische Chemie, 2. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart

Abbildung
Created with BioRender.com

  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige

Orphan Disease Finder

Orphan Disease Finder

Hier können Sie seltene Erkrankungen nach Symptomen suchen:

 

Seltene Krankheiten von A-Z
Schwerpunkt Seltene Erkrankungen