Durchfall bezeichnet eine Dysbalance zwischen Sekretions- und Resorptionsprozessen im Gastrointestinaltrakt aufgrund derer es zu einer vermehrten Ausscheidung von flüssigem Stuhl kommt. Der akuten und der chronischen Diarrhö liegen hierbei verschiedene Pathomechanismen zugrunde, weshalb bei der Behandlung und der Diagnostik ein differenziertes Vorgehen essenziell ist.
Die Absorption und Sekretion von Wasser und Elektrolyten im gesamten Gastrointestinaltrakt ist ein fein ausbalancierter, dynamischer Prozess. Ist dieses Gleichgewicht entweder durch verminderte Absorption oder erhöhte Sekretion gestört, führt dies zu Durchfall.
Die Diarrhö kann durch das Feststellen von mind. einem der folgenden Symptome diagnostiziert werden:
≥drei ungeformte Stühle täglich
Wassergehalt des Stuhls ≥75%
≥250g Stuhlgewicht täglich
Je nach Dauer und Art der Symptome kann Durchfall in akut oder chronisch sowie infektiös oder nicht-infektiös eingeteilt werden.
Akute Diarrhö
Die akute Diarrhoe liegt laut der DEGAM S1-Handlungsempfehlung dann vor, wenn die Symptomatik maximal 14 Tage andauert. Sie kann weiter klassifiziert werden in die nichtinfektiöse Diarrhoe und die infektiöse Diarrhoe.
Chronische Diarrhö
Ab einer Dauer von 14 Tagen spricht man von chronischem Durchfall. Dieser kann pathophysiologisch als osmotisch, sekretorisch, exsudativ und hypermotil beschrieben werden. Eine häufige Ursache für chronischen Durchfall sind u.a. entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.
Darüber hinaus gibt es zwei Sonderformen, die falsche und die paradoxe Diarrhö. Bei der falschen Diarrhö ist die Stuhlfrequenz erhöht, aber das Stuhlgewicht normal. Auslösend sind beispielsweise eine Proktitis oder eine fäkale Inkontinenz. Bei der paradoxen Diarrhö findet sich breiiger bis flüssiger Stuhl. Meist liegt eine distale Obstruktion vor, wie bei einer Koprostase oder einer Kolon- oder Rektumstenose [9,10,14].
Epidemiologie
Durchfall gehört zu den neun häufigsten Erkrankungen in Deutschland. Circa 30% der deutschen Bevölkerung leiden pro Jahr unter akuten Diarrhö-Episoden. Laut dem CONTENT-Projekt von 2006-2009 macht die Diarrhö 4,0% der hausärztlichen Beratungsanlässe aus [19]. Diarrhö tritt gehäuft in den Herbst- und Wintermonaten auf. Betroffen sind vor allem jüngere Patienten [5].
Meist liegt der akuten Diarrhö eine infektiöse Ursache (Bakterien, Viren oder Parasiten) zugrunde. Bei der Diagnose ist deshalb auf die Reiseanamnese zu achten. Die häufigsten Erreger sind:
Noroviren (laut §7 IfSG bei Hinweis auf akuter Infektion meldepflichtig)
Rotaviren (laut §7 IfSG bei Hinweis auf akuter Infektion meldepflichtig)
Clostridium difficile (bei klinisch schwerem Verlauf und Tod laut §6 IfSG meldepflichtig)
Campylobacter jejuni (laut §7 IfSG bei Hinweis auf akuter Infektion meldepflichtig)
Salmonellen (laut §7 IfSG bei Hinweis auf akuter Infektion meldepflichtig)
Des Weiteren existieren noch andere Erreger, die für einen Ausbruch einer akuten Diarrhö-Episode verantwortlich sein können, wie z.B. EHEC, ETEC, Shigellen, etc. Insgesamt gibt es dabei eine hohe Dunkelziffer, da ambulante Durchfallerkrankungen häufig nicht erregerspezifisch diagnostiziert werden. Bei stationärem Aufenthalt und Verdacht auf infektiösen Durchfall wird empfohlen eine Isolation vorzunehmen [4].
Chronische Diarrhö
Die chronische Diarrhö kann in vier Subtypen unterteilt werden mit jeweils anderen Pathomechanismen. Überlappungen sind möglich [2].
Osmotische Diarrhö
Wenn eine übermäßige Anzahl von osmotisch aktiven Partikeln im Lumen vorhanden ist, bewegt sich mehr Flüssigkeit passiv in das Darmlumen entlang des osmotischen Gradienten, was die Absorptionskapazität des Darms überschreiten kann, weshalb es in der Folge zu Durchfall kommt.
Gründe für eine übermäßige Anzahl osmotisch aktiver Partikel sind bspw.:
Aufnahme von gelösten Stoffen, die nicht resorbiert werden können, z. B. osmotische Abführmittel wie Lactulose
Malabsorption bestimmter gelöster Stoffe, z. B. Disaccharidmangel, Glucose-Galactose-Malabsorption
Schädigung des resorptionsfähigen Bereichs der Schleimhaut, was zu einer geringeren Flüssigkeitsaufnahme führt, z. B. akute Gastroenteritis, Kuhmilcheiweißallergie, Zöliakie und Morbus Crohn
Motilitätsstörungen, wie sie bei , Reizdarmsyndrom und Hyperthyreose beobachtet werden, die zu einem verringerten Kontakt mit dem Darmlumen und folglich zu einer höheren Konzentration von gelösten Stoffen innerhalb des Lumens führen.
Sekretorische Diarrhö
Bei der sekretorischen Diarrhö ist die Sekretion der Darmschleimhaut aktiv gestört und sezerniert ständig flüssige Substanz in das Darmlumen. Auslösend können sein chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Gallensäuremalabsorption, mikroskopische Kolitis, endokrine Störungen, Cholera oder Nahrungsmittelvergiftungen.
Exsudative Diarrhö
Durch eine starke Entzündung der Mukosa des Darms sondert diese vermehrt Mukus und/oder Blut ab. Meist können diese Beimengungen im Stuhl sichtbar sein. Solche Entzündungen sind bedingt durch Bakterien, Parasiten, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder durch tumoröse Veränderungen.
Hypermotile Diarrhö
Bei der hypermotilen Diarrhö wird die Peristaltik des Darms zu stark stimuliert, sodass der Körper nicht genügend Zeit hat Nährstoffe zu resorbieren. Dadurch verbleibt zu viel Flüssigkeit im Lumen. Auslösend können eine Hyperthyreose oder ein Reizdarmsyndrom sein.
Pathogenese
Durchfall ist das Ergebnis einer Störung des empfindlichen Gleichgewichts zwischen den Absorptions- und Sekretionsvorgängen im Darm.
Physiologischerweise erreichen täglich neun Liter Flüssigkeit das Jejunum. Dafür verantwortlich sind die orale Flüssigkeitsaufnahme und die endogene Pankreas- und Gallengangssekretion. Durch Resorptionsprozesse erreichen noch drei Liter das Ileum und 1,5 Liter das Caecum. Nur circa 100 ml werden pro Tag mit dem Stuhl ausgeschieden.
Bei Diarrhö kann der Körper über drei Liter Flüssigkeit und Elektrolyte verlieren [12].
Symptome
Je nach Ursache können multiple Symptome und auch andere organische Beschwerden vorhanden sein. Am häufigsten wird Durchfall von Bauchschmerzen, palpatorisch erhöhtem Muskeltonus des Abdomens, sowie Meteorismus begleitet. Auch Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen sind nicht selten.
Wenn die Flüssigkeits- und Elektrolytverluste sehr stark ausgeprägt sind, kann es zu orthostatischen Beschwerden bis hin zur Synkope kommen.
Diagnostik
Laut dem Behandlungsalgorithmus der S1-DEGAM ist bei einer akuten Diarrhö diagnostisches Vorgehen im Sinne einer Abdomensonographie, ein Nachweis von Enterotoxinen mittels einer Stuhlkultur und ein Labor bei folgenden Situationen indiziert:
Einnahme von Antibiotika in den letzten zwei Monaten
In der Sonographie des Abdomens gilt es auf die Motilität des Darms zu achten. Das Abdomen sollte weich und ohne Aufblähungen oder Schmerzempfinden sein.
Fällt der Kulturnachweis positiv aus, müssen laut IfSG meldepflichtigen Erreger berücksichtigt und eine erregergerechte Therapie eingeleitet werden.
Ist der Nachweis negativ wird ein Labor abgenommen in dem die Elektrolyte Natrium und Kalium, sowie Kreatinin, CRP und ein kleines Blutbild untersucht werden. Typisch für Diarrhö sind verminderte Elektrolyte. Zudem kann das CRP bei Entzündungen erhöht und die Blutparameter, wie Hämoglobin, bei blutiger Stuhlausscheidung erniedrigt sein.
Wird durch eine symptomatische Therapie keine Besserung der Beschwerden erzielt, sollte eine stationäre Einweisung oder eine weitere ambulante Abklärung in Erwägung gezogen werden, um chronische Krankheiten, wie Malignome, HIV, Sprue oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen auszuschließen. Auch an Nahrungsmittelunverträglichkeiten sollte gedacht werden und Allergie- sowie ein Lactoseintoleranztest durchgeführt werden [14].
Chronische Diarrhö
Ist eine chronische Diarrhö in Verdacht, sollten zur Abklärung folgende weitere Untersuchungen veranlasst werden.
Die 72 Stunden Stuhlsammlung, visuelle Inspektion des Anus inklusive digital-rektaler Untersuchung, sowie der Fastentest sind dabei essentiell, um den Pathomechanismus zu identifizieren. Beim Fastentest sollte 48 Stunden (besser 72 Stunden) nur eine parenterale, keine orale, Flüssigkeitszufuhr erfolgen. Persistiert die Diarrhö nächtlich, deutet dies auf eine sekretorische oder entzündliche Ursache hin [18]. Des Weiteren sollte zur Abklärung der Ursache für eine chronische Diarrhö ein komplettes Blutbild mit IgA, Calprotectin, Lactoferrin, TSH und T4 gemacht werden.
Bei abnormalen Blutwerten oder Verdacht auf strukturelle Krankheiten ist ein CT mit Enterographie, sowie eine Koloskopie mit Biopsie ratsam [6].
Die Ergebnisse lassen sich den morphologischen Stuhleigenschaften zuordnen:
Wässrige Diarrhö: Keine Leukozyten, Lactoferrin oder Calprotectin, sowie normale Blutparameter und kein Fett im Stuhl
Fettige Diarrhö: erhöhte Fäkalwerte
Entzündliche Diarrhö: Fäkale Leukozyten, Lactoferrin oder Calprotectin oder Blut im Stuhl
Reizdarmsyndrom (Wechsel zwischen Obstipation und Diarrhö)
Therapie
Zuerst ist festzustellen, dass der Durchfall in den allermeisten Fällen selbstlimitierend ist. Ist der Verlauf blande, ist eine symptomatische Therapie einzuleiten und bei Beschwerdepersistenz eine Reevaluation durchzuführen.
Bei der symptomatischen Therapie sollte vor allem die Homöostase im Elektrolyt- und Wasserhaushalt wiederhergestellt werden. Die WHO empfiehlt eine orale Rehydratationslösung, zusammengesetzt aus einer bestimmten Konzentration folgender Stoffe [21]:
Totale Osmolarität: 245mmol/Liter
Natrium: 75mmol/Liter
Chlorid: 65mmol/Liter
Glukose: 75mmol/Liter
Kalium: 20mmol/Liter
Citrat: 10mmol/Liter
Empfehlenswerte Kost: Reis, Bananen, Zwieback, Tee, Brühe
Nicht empfehlenswert: Kaffee, Säfte, Limonaden, Alkohol, fettige Speisen
Patienten sind anzuweisen auf körperliche Schonung und gute Hygiene zu achten. Medikamentös können bei einer unkomplizierten, akuten Diarrhö periphere Opioid-Rezeptor-Agonisten wie Loperamid oder der Enkephalinase-Hemmer Racecadotril als Zusatztherapie zu oralen Rehydratationsmaßnahmen eingesetzt werden [1].
Aktivkohle bietet eine potentielle Therapiemöglichkeit unabhängig von der Ätiologie der Diarrhö, da überschüssiges Wasser aus dem Darm gebunden und mit ausgeschieden wird. Aufgrund des schwammartigen Aufbaus können auch Bakterien oder Pflanzengifte gut adsorbiert werden. Kontraindikationen sind Fieber oder akute Bauchschmerzen, sowie Vergiftungen mit Säuren oder Basen [16].
Liegt der chronischen Diarrhö eine Krankheitsursache zugrunde soll diese kausal behandelt werden.
Loperamid ist auch bei der chronischen Diarrhö das Mittel der Wahl mit dem Unterschied, dass hier eine fixe Dosis statt einer Bedarfsmedikation zu empfehlen ist. Die Dosis ist individuell zu ermitteln. Sollte Loperamid keine ausreichende Wirkung zeigen, können in Einzelfällen stärkere Opiate wie Codein oder Tinctura opii eingesetzt werden [20].
Bei wässriger Diarrhö kommen Quellstoffe wie Psyllium in Betracht. Bei chologener Diarrhö hilft der Gallensäurebinder Cholestyramin. Das Somatostatinanalogon Octreotid kann im Rahmen von endokrin aktiven Tumoren und als Zweitlinientherapie bei einigen Randindikationen eingesetzt werden (50-250 Mikrogramm für drei Mal täglich subcutan) [20].
Antibiotische Therapien
Zu den Therapien, die für einige nicht virale Ursachen von Durchfall empfohlen werden, gehören:
Aeromonas-Spezies - Cephalosporine der dritten und vierten Generation (Cefixim).
Campylobacter-Spezies - Erythromycin C difficile - Verursachende Antibiotika absetzen. Gabe von oralem Metronidazol oder Vancomycin. Vancomycin ist schwerkranken Kindern vorbehalten.
Clostridium perfringens - Antibiotika werden nicht zur Behandlung empfohlen.
Entamoeba histolytica – Metronidazol, gefolgt von Paromomycin oder Iodochinol.
Giardia lamblia - Metronidazol oder Nitazoxanid. Plesiomonas-Spezies – TMP-SMX oder ein anderes Cephalosporin.
Salmonella-Spezies - Die Behandlung verlängert den Trägerstatus. TMP-SMX ist das Medikament der ersten Wahl (CAVE Resistenzen). Ceftriaxon und Cefotaxim bei invasiven Erkrankungen.
Shigella-Arten - Behandlung verkürzt die Krankheitsdauer. TMP-SMX Medikament der ersten Wahl, (CAVE Resistenzen). Bei invasiven Erkrankungen werden Cefixim, Ceftriaxon und Cefotaxim empfohlen.
Vibrio cholerae – Doxycyclin Antibiotikum der ersten Wahl; Erythromycin Antibiotikum der zweiten Wahl.
Yersinia-Spezies: TMP-SMX, Cefixim, Cefotaxim und Ceftriaxon
Zur evidenzbasierten Selbstmedikation von Durchfallerkrankungen gehts hier.
Prognose
Die akute Diarrhö ist bei gesunden Erwachsenen meist harmlos. Flüssigkeits- und Elektrolytverlust können binnen weniger Tage wieder ausgeglichen werden. Sind Erreger ursächlich, kann durch eine spezifische Therapie die Diarrhö behandelt werden.
Nach einer akuten infektiösen Enteritis entwickelt sich bei 10% der Patienten ein postinfektiöses Reizdarmsyndrom [6]. Ist eine chronische Erkrankung für die Symptomatik verantwortlich, variiert die Prognose sehr stark abhängig davon, um welche Erkrankung es sich handelt. Bei einer Reiseanamnese in einem tropischen oder subtropischen Land, wo Typhus oder Cholera vorkommen, ist eine Behandlung dringend und sofort indiziert. Die Letalität bei Cholera liegt unbehandelt bei über 50% und kann durch eine Behandlung unter 0,2% gesenkt werden [8].
Prophylaxe
Gute Hygiene kann Diarrhö vorbeugen. Ausreichendes Händewaschen kann der Übertragung von Gastroenteritiden vorbeugen. Falls möglich sollte eine andere Toilette benutzt werden, wenn Mitbewohner erkrankt sind. Fleisch und Milchprodukte sollten im Kühlschrank aufbewahrt werden.
Um eine Infektion mit Bakterien zu verhindern, sollten Fisch, Fleisch und Geflügel über 70 Grad erhitzt werden. Auch eine Ernährung, die viel Pektin enthält, verringert die Wahrscheinlichkeit einer Diarrhö. Pektin findet sich vorwiegend in Bananen, Apfel (Schale) und weiteren Früchten. Probiotische Lebensmittel, wie Joghurt und rohes Sauerkraut, wirken sich positiv auf die Darmflora aus und reduzieren das Auftreten der Diarrhö, ebenso Kartoffelbrei, Hafer, Zwieback und Reis.
Vermieden werden sollten übermäßiger Konsum von Alkohol, Kaffee, Zucker sowie blähenden und fettigen Speisen. Da chronische Diarrhö meist ein Symptom einer anderen Grunderkrankung ist, ist es nicht immer möglich effektiv vorzubeugen.
Hinweise
Bei Krankheitsverdacht, diagnostizierter Erkrankung oder Tod durch Cholera, Typhus, HUS und Botulismus besteht eine namentliche Meldepflicht. Alle weiteren meldepflichtigen Erreger sind auf der Seite des RKI zu finden [17].
Nemeth V, Pfleghaar N (2022) StatPearls. Diarrhea, Treasure Island (FL)
(2013) Neue S1-Handlungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) - Akuter Durchfall – Epidemiologie, diagnostische und therapeutische Empfehlungen - Online ZFA. Akuter Durchfall - Epidemiologie, diagnostische und therapeutische Empfehlungen. DEGAM S1-Handlungsempfehlung: 108–112
Norman A (2018) An Overview of the Bristol Stool Chart. Verywell Health